Der Dekalog – griechischer Ausdruck (Zehnwort) – ist die wissenschaftliche Bezeichnung für die zehn Gebote. Der Dekalog im Alten Testament (AT) kommt in zwei geringfügig abweichenden Fassungen vor. Wahrscheinlich ist die uns vertraute (Ex/2. Mose 20,2-17) gegenüber der aus dem Deuteronomium (Dtn/5. Mose 5, 6-21) die ältere.
Das Alte Testament nummeriert die zehn Gebote nicht. Es wird auch nirgends der Versuch gemacht, die zehn Gebote auf zwei Steintafeln zu verteilen. Die Lade Gottes wird als „Bundeslade“, d.h. als Behälter des (Sinai)Bundes-Gesetzes verstanden. Alleiniger Inhalt der zwei Tafeln sind nach Dtn/5. Mose 10,1-5 die „zehn Worte“. Die zwei Tafeln wiederum sind der alleinige Inhalt dieser Lade gewesen (1. Könige 8,9).
Der aus dem 1. Jh. v. Chr. stammende Papyrus Nash, die älteste direkte Bezeugung des hebräischen Dekalogtextes, bietet einen von den beiden alttestamentlichen Fassungen nur leicht abweichenden Mischtext. Bei aller Unsicherheit der Entstehungsgeschichte des Dekalogs kann aber festgehalten werden: Den Propheten des 8. und 7. Jh. v.Chr. ist der Dekalog zumindest in einer „Vorform“ bekannt. (Vgl. etwa Hosea 4,1f; Micha 2,2; Jeremia 7,9).
„Doppelte Überlieferung [2. Mose 20,2-17 und 5. Mose 5, 6-21], Vorordnung vor alle Gesetze, Unmittelbarkeit der göttlichen Mitteilung, Verschriftung durch Gott selbst, Urkunde des ‚Bundes’, bleibende Gültigkeit und unbeschränkter Geltungsbereich zeichnen den Dekalog vor allen anderen Mitteilungen Gottes in der Bibel aus.“ (M. Köckert, 18f.).
Die griechisch-orthodoxe und die evangelisch-reformierte Kirche verstehen Einleitung und Fremdgötterverbot als erstes Gebot, das Bilderverbot als zweites Gebot. Diese Zählung dürfte der Intention des alttestamentlichen Textes am ehesten gerecht werden. Die in der Tradition Luthers als neuntes und zehntes Gebot bekannten Worte sind dann als ein Gebot zu verstehen. Katholische und lutherische Kirchen folgen der Einteilung des Augustinus, die dieser im 4. Jahrhundert vornahm und führen 2. Mose 20,2-4 (Fremdgötter- und Bilderverbot) als 1. Gebot auf und begreifen 2. Mose 20,2.17 als zwei Gebote.
Neben der Auslegung des Bilderverbots als einzelnes Gebot verschweigt reformierte Tradition auch die einleitende Worte zu den Geboten nicht. So heißt es im Heidelberger Katechismus , Frage 92: „Wie lautet das Gesetz des Herrn? – ‚Gott redete alle diese Worte: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. (…)’“ Die Gebote sind eingebunden in die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Erst befreit Gott Israel aus der Knechtschaft in Ägypten, dann gibt er ihm die Weisung zum Leben.
In der folgenden Tabelle werden die Gebote, wie sie in der jüdischen Tora (hebräisch: Weisung, Lehre), bestehend aus den fünf Büchern Mose (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium), vorkommen, der griechisch- orthodoxen und der evangelisch- reformierten Kirche (A) und den katholischen und lutherischen Kirchen (B) gegenübergestellt.
Tora |
A |
B |
Text |
1. |
|
|
Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat. (Ex 20,2 und Dtn 5,6) |
2. |
1. |
1. |
Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. (Ex 20,3) |
2. |
2. |
1. |
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem was oben im Himmel, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetaten der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. (Ex 20,4-6 und Dtn 5,8-10) |
3. |
3. |
2. |
Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. (Ex 20,7 und Dtn 5,11) |
4. |
4. |
3. |
Gedenke des Sabbattags, dass Du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Dinge beschicken, aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. (Ex 20,8-11) |
5. |
5. |
4. |
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, gibt. (Ex 20,12) |
6. |
6. |
5. |
Morde (töte) nicht! (Ex 20,13) |
7. |
7. |
6. |
Du sollst nicht ehebrechen. (Ex 20,14 und Dtn 5,17) |
8. |
8. |
7. |
Du sollst nicht stehlen. (Ex 20,15 und Dtn 5,17) |
9. |
9. |
8. |
Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen. (Dtn 5,20) |
10. |
10. |
9. |
Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses. (Ex 20,17a) |
10. |
10. |
10. |
Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes noch seiner Magd, noch seines Ochsen noch seines Esels, noch alles, was dein Nächster hat. (Ex 20,17b) |