Trotz Hoffnungszeichen könne die Mission auch scheitern, so Präses Nikolaus Schneider, der zusammen mit dem EKD-Militärbischof Dr. Martin Dutzmann und dem EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms von Dienstag bis Samstag in Masar-i-Scharif /Afghanistan war und sowohl Soldatinnnen und Soldaten als auch Vertreterinnen und Vertreter ziviler Aufbauorganisationen getroffen und gesprochen hat.
Schneider forderte, die militärischen und polizeilichen Sicherheitsaufgaben müssten bald an afghanische Kräfte übergeben werden. "Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan muss verantwortlich angegangen werden, und er muss bald angegangen werden."
"Wahrzunehmen und zuzuhören - das war der erste und wichtigste Zweck unserer Reise", betonte Schneider. "Die Gespräche haben uns außerordentlich beeindruckt."
Er sei angetan davon, wie intensiv Angehörige der Bundeswehr ihren Einsatz reflektieren. Bitter und enttäuscht seien sie über das geringe öffentliche Interesse an ihrer Situation. Politische Streitigkeiten dürften nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden, mahnte der EKD-Ratsvorsitzende. In der Pressekonferenz in Düsseldorf dankte Schneider der Militärseelsorge für ihren wichtigen und gefährlichen Einsatz in Afghanistan. Wie der EKD-Militärbischof Dr. Martin Dutzmann erläuterte, versehen fünf evangelische und katholische Geistliche ihren Dienst bei den deutschen ISAF-Truppen.
Schneider unterstrich vor dem Hintergrund der Gespräche mit Menschen aus zivilen Aufbauorganisationen, er sei "positiv überrascht, wie viel dort geschieht". In einer neuerbauten Schule pflanzte er einen Baum. Menschen, die Frauenhäuser organisieren, Vertreter einer unabhängigen afghanischen Menschenrechtsorganisation, auch sie gehörten zu denjenigen, die die EKD-Delegation traf.
Zivilen Aufbau weiter fördern
Die Erfolge ziviler Aufbauarbeit kämen bedauerlicherweise in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung in Deutschland kaum vor, bemängelte der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms. "Ich hätte es deshalb angemessen gefunden, wenn der Deutsche Bundestag neben der offiziellen militärischen auch eine offizielle zivile Mandatierung ausgesprochen hätte." Mehr als 200 deutsche Entwicklungshelferinnen und -helfer leben Brahms zufolge in der Nordregion, und zwar inmitten afghanischer Städte und Dörfer.
Dass die Mittel für den zivilen Aufbau im Jahr 2010 nahezu verdoppelt wurden, nannte er positiv. Brahms machte sich für eine "Übergabedividende" stark, sprich: künftig freiwerdende Geldmittel für Militär sollten dem weiteren zivilen Aufbau zugute kommen.
Kritik an neuer offensiver Strategie
Kritik gab es an der neuen offensiveren Strategie der Bundeswehr. Brahms formulierte "große Zweifel", dass diese Strategie mit evangelischer Friedensethik in Einklang gebracht werden kann. Dutzmann unterstrich, dass diese Strategie den Einsatz für die Soldatinnen und Soldaten erheblich gefährlicher mache.
"Ich glaube nicht, dass Gott gefällt, was wir hier tun", zitierte Dutzmann einen Hauptfeldwebel, der allerdings auch keinen anderen Weg sehe und der davon ausgehe, "dass ich mich vor Gott werde verantworten müssen". In Richtung Politik formulierte Dutzmann daraus die Forderung nach einem sicherheitspolitischen Gesamtkonzept.
Ethisches Dilemma
Ist der Einsatz ethisch vertretbar? Zu dieser Rückfrage sagte der Präses: "Ich komme aus dem Dilemma nicht raus." Er glaube, dass "nicht unverantwortlich", dass "hinnehmbar" gehandelt werde. Gemeint ist: schuldig werden durch das Tun der Soldaten, andererseits würde man schuldig, würde man nichts tun zum Schutz der Bevölkerung. Präses Schneider sagte, dass sie zu Dritt gereist seien, sei Ausdruck des Dilemmas.
Präses: Entscheidend ist der zivile Aufbau. ekir.de-Telefoninterview vom 4. Februar
Afghanistan: „Hoffnung auf dünnem Eis“. EKD-Pressemitteilung
Quelle: ekir.de / neu / 06.02.2011 >>>
„Hoffnung auf dünnem Eis“: Ratsvorsitzender zur EKD-Reise nach Afghanistan
Nikolaus Schneider
„Vorrang für Zivil“: Friedensbeauftragter zur EKD-Reise nach Afghanistan
Renke Brahms
„Vor Gott verantworten“: Militärbischof zur EKD-Reise nach Afghanistan
Martin Dutzmann
Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen: Ein evangelisches Wort zu Krieg und Frieden in Afghanistan
EKD-Pressemitteilung Nr. 22 (2010) vom 25. Januar 2010