Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Außer Christus kein Grund der Gemeinde
Johannes Calvin zum Pfingstmontag (Matthäus 16,13-19)
Matthäus 16,13-19
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn sei? 14 Sie sprachen: Etliche sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere du seiest Elia, wieder andere, du seiest Jeremia oder der Propheten einer. 15 Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, daß ich sei? 16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! 17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. 19 Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.
Matth. 16, 13. „In die Gegend von Cäsarea Philippi.“ Nach Markus hat sich dieses Gespräch auf dem Weg abgespielt, nach Lukas dagegen, während Christus betete und niemand bei ihm war außer seinen Jüngern. Matthäus gibt die Zeit nicht so genau an. Es steht jedoch fest, daß die drei die gleiche Geschichte berichten, und es ist möglich, daß Christus bei einer Wanderung, nachdem er bei irgendeiner Raststelle gebetet hatte, diese Frage an die Jünger richtete. Da es zwei Cäsarea gab, das alte und vornehmere, das früher Turm des Strato hieß, und das hier gemeinte, das am Fuß des Libanon lag, nicht weit vom Jordan entfernt, ist der Zusatz zur Unterscheidung hinzugefügt. Einige meinen zwar, es sei an derselben Stelle aufgebaut, wo einst die Stadt Dan war; doch weil der Vierfürst Philippus es kürzlich aufgebaut hatte, hieß es nach ihm.
„Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn sei?“ Der Sinn dieser Frage könnte so aussehen: Was redet man im Volk über den Erlöser, der Menschensohn geworden ist? Doch ist die Frage gerade umgekehrt gemeint: Was denken die Leute über Jesus, den Sohn der Maria? Dabei gebraucht Christus nach seiner Gewohnheit den Namen Menschensohn, als wenn er sagen wollte: Wie lautet das Urteil über mich, der ich nun Fleisch geworden bin und auf der Erde weile, ganz wie einer von den Menschen? Wie wir gleich sehen werden, war es Christi Absicht, seine Jünger in einem gewissen Glauben zu verankern, damit sie nicht bei den mancherlei Gerüchten über ihn hin und her schwankten.
Matth. 16, 14. „Etliche sagen, du seiest Johannes.“ Hier handelt es sich nicht um ausgesprochene Feinde Christi, auch nicht um gottlose Verächter, sondern um den noch gesünderen und weniger verdorbenen Teil des Volkes, gewissermaßen die auserlesene Blüte der Gemeinde. Denn die Jünger erwähnen nur solche, die mit Ehrerbietung über Christus sprechen. Und obwohl ihnen nun doch die Wahrheit vorgehalten wurde, trifft keiner von ihnen ins Schwarze, sondern sie verlieren sich alle in eigenen törichten Gedanken. Wir sehen daraus, wie beschränkt der menschliche Geist doch ist, daß er nicht nur von sich aus nichts Richtiges und Wahres erkennen kann, sondern auch noch wahre Grundsätze zu Irrtümern verdreht. Obwohl Christus das einige Zeichen für die Eintracht und den Frieden ist, durch das Gott die ganze Welt zu sich versammelt, nehmen viele das doch gerade zum Anlaß, um sich erst recht darüber zu streiten. Auch für die Juden konnte die Einheit des Glaubens nur in Christus bestehen. Aber gerade hier trennen sich nun die Ansichten, die doch früher einigermaßen übereinzustimmen schienen. Wir sehen auch, wie ein Irrtum den nächsten erzeugt: Da sich im Herzen des Volkes die Meinung festgesetzt hatte, daß die Seelen nach dem Tod des Menschen in einen anderen Körper übergingen, konnten sie überhaupt nur auf diese falschen Vorstellungen über Christus kommen. Doch wie zwiespältig die Juden auch durch das Kommen Christi unter sich wurden, den Frommen sollte das Gewirr der Meinungen nicht zum Hindernis werden, nach der wahren Erkenntnis über ihn zu streben. Denn wenn sich jemand unter einem solchen Vorwand der Trägheit hingibt und versäumt, nach Christus zu fragen, gibt es für ihn keine Entschuldigung. Um so weniger wird einer dem Gericht Gottes entkommen, wenn er wegen solcher Spaltungen vor Christus zurückschrickt und sich die falschen Ansichten der Leute zum Grund für seine Geringschätzung werden läßt, so daß er es gar nicht erst für der Mühe wert hält, sich Christus anzuschließen.
Matth. 16, 15. „Wer sagt denn ihr, daß ich sei?“ Hier nimmt Christus seine Jünger vom übrigen Volk aus, damit es noch deutlicher wird, wie unsinnig es ist, wenn wir uns von der Einheit des Glaubens abbringen lassen, mögen die andern auch noch so sehr unter sich gespalten sein. Denn alle, die sich Christus aufrichtig ergeben und niemals versuchen, aus ihrem Kopf etwas zu dem Evangelium dazuzuerfinden, wird das helle Licht keinen Augenblick verlassen. Doch dazu braucht man gespannte Wachsamkeit, um beständig an Christus festzuhalten, wenn die ganze Welt zu ihren falschen Erfindungen abfällt. Da Satan den Juden nicht nehmen konnte, was ihnen über das Kommen Christi im Gesetz und den Propheten zugesagt war, veränderte er den Christus und zerschnitt ihn gewissermaßen in Teile; auf diese Weise hielt er ihnen eine Reihe falscher Christusgestalten vor, damit der wahre Erlöser darunter verschwinde. Er hat auch später nicht aufgehört, Christus zu entstellen oder ihm eine ganz fremde Gestalt zu geben. Darum soll unter den unklaren, verworrenen Stimmen der Welt immer dieses Wort Christi an unser Ohr dringen, das uns von den schwankenden, irrenden Menschen trennt, damit wir nicht auch zu der großen Mehrheit gehören und unser Glaube den verschiedenen Meinungsströmungen ausgesetzt ist.
Matth. 16, 16. „Du bist Christus.“ Es ist ein kurzes Bekenntnis, aber es schließt die ganze Fülle unseres Heils in sich. Denn unter dem Namen „Christus" wird sein ewiges Königreich und Priestertum zusammengefaßt, wodurch er uns mit Gott versöhnt, mit seinem Sühnopfer die vollkommene Gerechtigkeit für unsere Sünden erlangt und uns, die wir in seinen Frieden und seinen Schutz aufgenommen sind, auch dabei bewahrt, uns verherrlicht und durch alle Arten seines Segens reich macht. Markus hat nur: „Du bist der Christus“, Lukas darüber hinaus: „Der Christus Gottes“. Der Sinn ist jedoch der gleiche. Denn als Gesalbten Gottes, und das heißt ja Christus, bezeichnete man einst auch die Könige, die von Gott gesalbt worden waren. Denselben Ausdruck hat Lukas (vgl. 2, 26) gebraucht, als er erzählte, Simeon sei eine Antwort vom Himmel gegeben worden, daß er nicht sterben sollte, bevor er den Christus des Herrn gesehen hätte. Denn die Erlösung, die Gott durch seinen Sohn darbot, war ein durch und durch göttliches Werk. Darum mußte der zukünftige Erlöser durch die Salbung Gottes ausgezeichnet sein und vom Himmel kommen. Bei Matthäus ist der Ausruf noch klarer: „Sohn des lebendigen Gottes“. Denn wenn Petrus vielleicht auch noch nicht so genau begriff, inwiefern Christus von Gott abstammte, so hielt er ihn doch für so einzigartig, daß sein Ursprung bei Gott sein mußte, und zwar nicht in der Form wie die anderen Menschen, sondern damit in seinem Fleisch die lebendige, wahre Gottheit wohne. Wenn Gott der „Lebendige" genannt wird, so wird damit unterschieden zwischen ihm und den toten Götzen, die ein Nichts sind.
Matth. 16, 17. „Selig bist du, Simon.“ Wenn das ewige Leben so aussieht, daß man den einigen Gott erkennt und den, den er gesandt hat, Jesus Christus, so nennt Christus Petrus mit vollem Recht selig, weil er das von ganzem Herzen bekannt hat. Doch sagte er das nicht nur für Petrus allein, sondern er wollte damit zeigen, wo die einzige Glückseligkeit für die ganze Welt liegt. Damit jeder einzelne mit um so größerer Sehnsucht nach Christus verlangt, muß man zuerst betonen, daß alle von Natur aus elend und verdammt sind, bis sie in Christus Heilung finden. Dazu kommt, daß dem, der von Christus ergriffen ist, gar nichts mehr zur vollkommenen Seligkeit fehlt, da man ja nichts Besseres wünschen kann als die ewige Herrlichkeit Gottes, zu deren Besitz uns Christus hinführt.
„Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart.“ Anhand der Gestalt dieses einen Menschen erinnert Christus alle daran, daß der Glaube von seinem Vater erbeten werden muß und daß er allein der Gnade Gottes zuzuschreiben ist. Denn „Fleisch und Blut" wird hier der besonderen Erleuchtung durch Gott gegenübergestellt. Wir sehen daraus, daß dem menschlichen Geist die Fähigkeit fehlt, die Geheimnisse der himmlischen Weisheit, die in Christus verborgen sind, zu erfassen. Ja, alle menschlichen Sinne versagen in dieser Beziehung, bis uns Gott die Augen öffnet, damit wir seine Herrlichkeit in Christus erkennen. Niemand soll sich darum auf seinen Verstand verlassen und sich stolz hervortun, sondern wir sollen uns demütig von dem Vater des Lichts innerlich darüber belehren lassen, daß allein sein Geist unsere Finsternis erhellen kann. Wem aber der Glaube bereits geschenkt ist, möge sich an seine eigene Blindheit erinnern und, dankbar für das Empfangene, lernen, Gott zu geben, was Gottes ist.
Matth. 16, 18. „Und ich sage dir auch.“ Mit diesen Worten erklärt Christus, wie sehr ihm das Bekenntnis des Petrus gefällt; darum schenkt er ihm auch eine so reiche Belohnung. Denn obwohl er seinem Jünger Simon bereits den Beinamen Petrus gegeben und ihn aus freier Gnade zu seinem Apostel bestimmt hatte, tut er doch so, als wären diese Gnadengaben eine Belohnung für den Glauben, wie es in der Schrift des öfteren geschieht. Zudem wird Petrus einer doppelten Ehre gewürdigt: Die erste Aussage betrifft sein persönliches Heil, die zweite meint sein Apostelamt. Wenn Christus sagt: „Du bist Petrus“, so bestätigt er damit, daß er ihm diesen Beinamen damals nicht von ungefähr gegeben hat; denn er soll ein lebendiger Stein am Tempel Gottes sein und dauerhaft darin bleiben. Obwohl das auch für alle Gläubigen gilt, von denen jeder einzelne ein Tempel Gottes ist und die, im Glauben vereinigt, zusammen den einen Tempel Gottes bilden (vgl. Eph. 2, 20), wird doch Petrus unter den andern mit einer besonderen Betonung genannt, so wie ja jeder an seiner Stelle nach dem Maß der Gabe Christi mehr oder weniger empfängt.
„Auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde.“ Hier wird klar, inwiefern der Name „Fels“ (Petrus) sowohl für Simon wie dann auch für die andern Gläubigen gedacht ist. Denn sie sind alle auf den Glauben an Christus gegründet und fügen sich in heiliger Einmütigkeit zur geistlichen Behausung zusammen, so daß Gott mitten unter ihnen wohnt. Christus erklärt, das sei das gemeinsame Fundament für die ganze Gemeinde und er wolle damit alle Gläubigen, die es in Zukunft in der Welt geben werde, Petrus zugesellen. Er hätte auch sagen können: Ihr seid zwar nur ein kleines Häuflein von Menschen, und darum fällt dieses euer Bekenntnis im Augenblick nur wenig ins Gewicht, aber bald wird die Zeit kommen, wo es großartig herauskommt und sich weit verbreitet. Das trug viel dazu bei, die Jünger in ihrer Standhaftigkeit zu bestärken; denn obgleich ihr Glaube noch unbekannt und von den andern verachtet war, waren sie doch die vom Herrn Erwählten, gewissermaßen Erstlinge, damit aus dem geringgeachteten Anfang endlich einmal die neue Gemeinde entstehe, die siegreich bleiben sollte gegenüber allen Angriffen der Hölle. Die weitere Zusage: „Die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“, verheißt den Jüngern, daß die Gemeinde in ihrer Festigkeit von aller Macht des Satans nicht überwältigt werden wird; denn die Wahrheit Gottes, auf die sich ihr Glaube stützt, wird in Ewigkeit unerschütterlich bestehen. Diesem Satz entspricht auch die Stelle 1. Joh. 5, 4: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." Diese herrliche Verheißung ist besonders zu beachten: Alle in Christus Vereinten, die ihn als den Christus und Mittler anerkennen, werden bis zum Ende vor jeglichem Schaden bewahrt bleiben. Denn was von dem ganzen Leib gesagt wird, gilt auch für jedes einzelne seiner Glieder, sofern sie in Christus eins sind. Wir werden hier jedoch auch daran erinnert, daß die Gemeinde, solange sie auf der Erde als Fremdling weilt, keine Ruhe haben, sondern vielen Anfeindungen ausgesetzt sein wird. Denn Christus erklärt darum, der Satan werde unterliegen, weil dieser als beständiger Feind der Gemeinde auftreten wird. Wie wir uns also im Vertrauen auf dieses Wort Christi getrost gegenüber dem Satan rühmen können und bereits im Glauben über alle seine Anschläge triumphieren, müssen wir auf der anderen Seite auch wissen, daß uns gewissermaßen das Signal geblasen ist, daß wir immer gerüstet und bereit sind, den Kampf aufzunehmen. Der Ausdruck „Pforten" soll zweifellos die Macht und das starke Bollwerk der Hölle bezeichnen.
Matth. 16, 19. „Ich will dir des Heimmelreichs Schlüssel geben.“ Hier beginnt Christus mit einer Auseinandersetzung über das öffentliche Amt der Apostel, dessen Würde mit einem doppelten Lob versehen wird. Christus nennt die Diener am Evangelium Türhüter des Himmelreichs, weil sie über seine Schlüssel verfügen. Und dann fügt er hinzu, sie hätten die Macht, zu binden und zu lösen, und zwar sei das auch im Himmel wirksam. Das Bild der Schlüssel paßt sehr gut auf das Lehramt. Luk. 11, 52 sagt Christus ja auch von den Schriftgelehrten und Pharisäern, sie hätten gleichsam die Schlüssel zum Himmelreich in der Hand, weil sie Ausleger des Gesetzes waren. Wir wissen ja, daß nur das Wort Gottes uns die Tür zum Leben auftun kann. Daraus folgt, daß den Dienern am Wort der Schlüssel gewissermaßen in die Hand gegeben ist. Daß von Schlüsseln in der Mehrzahl die Rede ist, erklären manche Ausleger damit, daß die Apostel ja nicht nur den Auftrag haben zu öffnen, sondern auch zu schließen. Das klingt ganz glaubwürdig, wenn man es aber weniger scharfsinnig auffassen möchte, verfehlt man auch nicht den Sinn. Man muß jedoch fragen, warum der Herr erst jetzt verheißt, daß er Petrus die Schlüssel geben werde, wo es doch früher so schien, als habe er sie ihm mit der Wahl zum Apostel bereits anvertraut. Die Antwort habe ich schon in Matth. 10 gegeben, wo ich gesagt habe, daß jene zwölf anfänglich nur Herolde auf Zeit waren. Als sie dann zu Christus zurückkehrten, hatten sie ihren Auftrag erfüllt. Erst nachdem Christus von den Toten auferstanden war, begann ihre Tätigkeit als ordentliche Lehrer der Gemeinde. Im Blick auf diese kommende Zeit wird ihnen diese Ehre hier übertragen.
„Was du auf Erden binden wirst.“ Das zweite Bild oder Gleichnis gibt im eigentlichen das Vergeben der Sünden wieder. Denn Christus, der uns durch sein Evangelium von der Strafe des ewigen Todes befreit, löst die Fesseln der Verdammung, mit denen wir gebunden sind. Er bezeugt hier also, daß die Predigt des Evangeliums dazu bestimmt ist, unsere Bande zu lösen, so daß wir, wenn wir durch das Wort und das Zeugnis von Menschen gelöst sind, tatsächlich auch im Himmel los sind. Aber da sehr viele nicht nur die dargebotene Erlösung in gottloser Weise verschmähen, sondern sich durch ihren Trotz ein noch schwereres Urteil zuziehen, wird den Dienern am Evangelium auch die Vollmacht und der Auftrag zum Binden gegeben. Doch muß man beachten, daß das eigentlich etwas dem Evangelium Fremdes und gewissermaßen gegen seine Natur ist. So schreibt auch Paulus, als er über die Strafe spricht, die er für alle Ungläubigen und Aufrührer bereit hat, im Anschluß daran sofort: „wenn euer Gehorsam völlig geworden ist" (2. Kor. 10, 6). Denn wenn die Verworfenen nicht durch ihre Schuld das Leben in Tod verkehren würden, wäre das Evangelium für alle eine Kraft Gottes zur Seligkeit.
Da jedoch beim Hören des Evangeliums die Gottlosigkeit vieler Menschen erst so richtig hervorbricht und den Zorn Gottes nur noch mehr herausfordert, muß das Evangelium für solche Leute ein Geruch des Todes werden. Christus will also mit seiner Verheißung die Seinen in dem Heil bestärken, das im Evangelium verheißen wird, daß sie es ebenso zuversichtlich erwarten, als wenn er selbst als Zeuge vom Himmel herabkäme. Umgekehrt will er aber auch den Verächtern des Evangeliums einen Schrecken einjagen, damit sie nicht glauben, sie könnten mit den Dienern am Wort ungestraft ihren Spott treiben. Beides war sehr nötig: Denn da uns der unvergleichliche Schatz des Lebens in zerbrechlichen Gefäßen angeboten wird (vgl. 2. Kor. 4, 7), würde das Vertrauen darauf jeden Augenblick ins Wanken geraten, wenn uns nicht auf diese Weise die Vollmacht der ewigen Verkündigung verbrieft würde.
Auf der anderen Seite führen sich die Gottlosen so frech und übermütig auf, weil sie meinen, sie hätten es nur mit Menschen zu tun. Darum erklärt Christus, daß durch die Verkündigung des Evangeliums auf der Erde enthüllt werde, wie das himmlische Urteil Gottes einmal aussehen wird, und daß von nirgend anders her die Gewißheit über Leben und Tod zu erhoffen sei. Es ist dann eine große Ehre, daß wir Boten Gottes sind, um der Welt ihr Heil zu bezeugen. Das Herrlichste am Evangelium ist, daß es die Botschaft der gegenseitigen Versöhnung zwischen Gott und Menschen genannt wird. Und das ist dann ein wunderbarer Trost für die frommen Herzen, daß sie wissen, die Botschaft des Heils, die ihnen so ein sterbliches Menschlein bringt, hat Gültigkeit vor Gott.
Inzwischen mögen die Gottlosen über die Botschaft, die im Auftrag Gottes verkündigt wird, spotten, solange es ihnen Spaß macht. Irgendwann einmal werden sie dann doch merken, wie wahr und wie ernst Gott ihnen durch den Mund von Menschen gedroht hat. Mit dieser Zuversicht gewappnet, können dann die frommen Lehrer für sich und für andere furchtlose Bürgen für die lebendig machende Gnade Gottes sein und genauso beherzt gegen die schroffen Verächter ihrer Verkündigung ihre Blitze schleudern. Nachdem ich nun den wahren Sinn dieser Worte deutlich auseinandergesetzt habe, dürfte alles klar sein, wenn nicht der römische Antichrist diese Stelle als Vorwand benutzte, um seine Tyrannei zu rechtfertigen, und es wagte, sie ebenso gottlos wie unverschämt von Grund aus zu verdrehen.
Obgleich ebendieses Licht der richtigen Auslegung, mit dem ich gearbeitet habe, zu genügen scheint, um die Finsternis dieser Stelle zu erhellen, will ich die faulen Verdrehungen aufzeigen, nur kurz, damit fromme Leser nicht lange damit aufgehalten werden. Zunächst wird behauptet, Petrus heiße das Fundament der Gemeinde. Wer sieht jedoch nicht, daß das, was der Papst auf die Person eines Menschen bezieht, vom Glauben des Petrus an Christus gesagt ist? Ich gebe zu, daß im Griechischen der Name Petrus soviel bedeutet wie petra, der Fels. Nur ist der Eigenname attischer Herkunft, während das zweite Wort aus der Umgangssprache stammt.
Aber diese beiden unterschiedlichen Formen hat Matthäus nicht unüberlegt gesetzt, damit man einfach nach Belieben das Geschlecht der beiden Worte vertauschen kann, sondern er wollte damit etwas anderes ausdrücken: Ich glaube, daß Christus in seiner Sprache damit einen Unterschied hervorhob. So erinnert auch Augustin sehr klug daran, daß nicht petra, der Fels, von Petrus abgeleitet wurde, sondern daß Petrus von petra herkommt, so wie wir Christen alle unseren Namen von Christus haben.
Um mich kurz zu fassen: Wir halten uns unbeirrt an das Wort des Paulus (1. Kor. 3, 11), daß die Gemeinde außer Christus allein keinen andern Grund haben kann, und es ist eine Gotteslästerung, wenn der Papst ein anderes Fundament erfunden hat. Schon aus diesem einen Grund müssen wir die Tyrannei des Papsttums verachten. Es fehlen einem einfach die Worte, wenn man sieht, daß der Papst zu seinen Gunsten der Gemeinde das Fundament entzogen hat, damit der offene Schlund der Hölle die armen Seelen verschlinge.
Dazu kommt, daß dieses Wort: „auf diesen Felsen“, noch gar nicht das öffentliche Amt des Petrus im Blick hat, sondern daß ihm damit nur unter den andern heiligen Steinen am Tempel Gottes eine von den besonderen Stellen zugeteilt wird. Was dann an ehrenden Worten folgt, bezieht sich allerdings auf das Apostelamt. Daraus folgt, daß Petrus nichts gesagt wird, was nicht auch für seine übrigen Kollegen zuträfe. Denn wenn sie die Apostelwürde gemeinsam haben, muß ihnen auch gemeinsam sein, was damit verbunden ist. Christus redet nun Petrus allein mit Namen an: Nun, wie er allein im Namen aller bekannte, daß Christus Gottes Sohn sei, so richtet Christus sein Wort nun auch an ihn allein; es trifft in gleicher Weise jedoch auch für die andern zu.
Beachtenswert ist auch der Grund, den Cyprian und andere Ausleger anführen, daß Christus alle unter einer Person angeredet habe, um ihnen damit die Einheit der Kirche ans Herz zu legen. Man behauptet, Petrus würde allen anderen vorangestellt, weil ihm das ganz allein gesagt wurde. Damit erklärt man aber, er sei in höherem Maß Apostel gewesen als seine Amtsbrüder. Die Vollmacht, zu binden und zu lösen, läßt sich aber vom Lehr- und Apostelamt genauso wenig trennen wie die Wärme oder das Licht von der Sonne. Zugegeben aber, Petrus wäre ein wenig mehr zugestanden worden als den übrigen Aposteln, so daß er unter ihnen eine hervorragende Stelle eingenommen hätte, so ist es jedoch töricht, wenn die Papisten das dazu aufbauschen, daß ihm damit die erste Stelle, der Primat, gegeben sei und er das allgemeine Haupt der ganzen Kirche sei. Denn zwischen Würde und Herrschaft ist doch noch ein Unterschied, und es ist noch etwas anderes, unter einigen wenigen die höchste Ehrenstellung zu haben, als die ganze Welt unter seine Ellenbogen zu drücken. Und sicher hat Christus Petrus keine größere Last auferlegt, als er tragen konnte. Es ist ihm aufgetragen, der Türhüter des Himmelreichs zu sein, er soll durch Binden und Lösen die Gnade Gottes verwalten, und er soll Gottes Urteil auf der Erde vollstrecken; natürlich all das nur, soweit die Fähigkeit eines sterblichen Menschen zureicht. Was ihm also gegeben wurde, ist auf das Maß der Gnade zu beschränken, mit der er zum Aufbau der Gemeinde beschenkt wurde.
So fallt also die unermeßliche Herrschaft, die die Papisten ihm zusprechen, dahin. Aber vorausgesetzt, über Petrus gäbe es überhaupt nichts zu streiten, so folgt daraus doch gar nichts für die Tyrannei des Papstes. Denn kein vernünftiger Mensch wird den Papisten zugestehen, daß das Sonderrecht, das sie an sich gerissen haben, Petrus hier dazu gegeben wurde, damit er es wie ein rechtmäßiges Erbe dann seinen Nachfolgern weitergebe. Es wird ihm gar nicht zugestanden, seinen Nachfolgern irgend etwas zu erlauben. So machen die Papisten aus einem ihnen fernstehenden Petrus einen sehr freigebigen Petrus. Endlich, wenn es auch eine apostolische Sukzession gäbe, kann der Papst doch nichts damit anstellen, solange er sich nicht als der rechtmäßige Nachfolger des Petrus erwiesen hat.
Woher aber nimmt er den Beweis? Etwa weil Petrus in Rom gestorben ist? Dann wäre Rom ja durch den ruchlosen Mord des Apostels zu dieser Vorrangstellung gekommen! Aber die Papisten behaupten auch, er wäre dort Bischof gewesen. Daß das ein Märchen ist, habe ich ausführlich in meiner Institutio (Unterricht in der christlichen Religion) gezeigt, und ich halte es für besser, wenn man dort die völlige Behandlung dieses Arguments nachschlägt, als daß ich meine Leser hier mit Wiederholungen nur langweile.
Hier sei zum Schluß nur noch kurz hinzugefügt: Wenn der römische Bischof auch zu Recht der Nachfolger des Petrus gewesen wäre, würde ihm doch das, was Christus den Nachfolgern des Petrus übertragen hat, nichts helfen, weil er sich durch seine Untreue diese Würde verscherzt hat. Daß der Hof des Papstes in Rom ist, weiß jeder; aber man kann dort keinen Anhaltspunkt für eine Kirche finden. Vor dem rechten Hirtenamt hat er ebensolchen Abscheu, wie er begierig für seine Vorherrschaft kämpft. Auf jeden Fall muß man das sagen: Wenn Christus auch nichts unterlassen hätte, die Erben des Petrus auszuzeichnen, so verschwenderisch wäre er nicht gewesen, daß er die ihm gebührende Ehre auf Abtrünnige übertragen hätte.
Aus: Otto Weber, Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Dreizehnter Band: Die Evangelien-Harmonie 2. Teil, Neukirchener Verlag, 1974, S. 58ff.