Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Ein Heiland ward geboren
Johannes Calvin predigt die Weihnachtsgeschichte, Lukas 2, 1-14
Calvins Predigt, die er in den Jahren vor 1558 gehalten haben muss, fragt danach, wie wir Menschen aus der Weihnachtsgeschichte Trost gewinnen können.
Es geschah in diesen Tagen, daß ein Edikt von Kaiser Augustus erging, daß die ganze Welt gezählt würde. Diese erste Zählung fand statt, als Cyrenius in Syrien das Regiment hatte. Und es gingen alle, um sich einschreiben zu lassen, jeder in seine Stadt. Auch Joseph zog von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, nach Judäa, in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Hause und der Verwandtschaft Davids war, - um sich einschreiben zu lassen mit Maria, die ihm zur Frau bestimmt war; die war schwanger. Und es begab sich, als sie da waren, da war es die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge sonst kein Platz für sie war. Nun waren in derselben Gegend Hirten auf den Feldern, die hatten die Nachtwachen bei ihren Herden. Und siehe, der Engel des Herrn erschien, trat zu ihnen und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie; und sie fürchteten sich sehr. Da sagte der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht; denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die das ganze Volk erfahren wird. Heut ist euch nämlich der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und dies Zeichen sollt ihr haben: ihr werdet das Kind finden in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und gleich war bei dem Engel eine Menge himmlischer Ritterschaft, die Gott lobten und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Frieden den Menschen: sein Wohlgefallen. (Lukas 2,1-14)
Wir wissen, all unser Gut, all unsere Freude und Ruhe beruht in der Verbundenheit mit dem Sohn Gottes. Er ist unser Haupt und wir sein Leib; von ihm haben wir Leben, Heil und Glück. Und wir sehen ja auch, wie elend unsere Lage wäre, wenn wir nicht bei ihm eine Zuflucht hätten und in seiner Hut stünden. Es steht jedoch nicht in unserer Macht, so hoch zu kommen (wir können ja kaum auf der Erde kriechen); er seinerseits muß sich zu uns nahen und er hat sich uns ja genaht, da er bei seiner Geburt unser Fleisch angezogen hat und unser Bruder geworden ist. Wir könnten jetzt nicht unsre Zuflucht zu unserm Herrn Jesus Christ nehmen, der zur Rechten Gottes seines Vaters in der Herrlichkeit der Himmel sitzt, wenn er sich nicht so erniedrigt hätte, daß er ein sterblicher Mensch wurde und dasselbe Leben führte wie wir. Und wenn er Mittler zwischen Gott und den Menschen heißt, so heißt der doch noch ausdrücklich der Mensch, wie er ja aus demselben Grund auch Emmanuel heißt, d.h. Gott mit uns.
... und gehörte gleichsam zum Abschaum der Menschheit
So oft wir also nach unserm Herrn Jesus Christ verlangen und in ihm Trost in all unserm Elend, sichern und unfehlbaren Schutz suchen, müssen wir bei seiner Geburt anfangen. Es heißt aber hier nicht nur, daß er Mensch gleich uns geworden ist, sondern er hat sich so sehr erniedrigt, daß er kaum noch zu den Menschen zählte. Herberge und Menschengemeinschaft sind ihm versagt, nur ein Stall, eine Krippe nehmen ihn auf. Daran sollen wir erkennen, wie Gott den unendlichen Schatz seiner Güte über uns ausschüttete, als er seinen Sohn für uns so erniedrigte.
Wir sollten auch anerkennen, was unser Herr Jesus Christ von seiner Geburt an auf sich genommen hat, damit wir, wenn wir ihn suchen, nicht lange Umwege machen müßten, um ihn zu finden und wahrhaftig eins mit ihm zu werden. Darum hat er ja alle Schande auf sich genommen und gehörte gleichsam zum Abschaum der Menschheit. Wir müssen jedoch auch lernen, klein zu sein, um von ihm angenommen zu werden, denn zum mindesten Gleichförmigkeit zwischen dem Haupt und den Gliedern darf man verlangen. Dabei brauchen sich die Menschen keineswegs erniedrigen, um ihren Wert herunterzudrücken; denn es ist schon natürlicherweise so viel Elend in ihnen, daß sie schon Anlaß haben, niedergeschlagen zu sein. Wir brauchen uns bloß so erkennen, wie wir wirklich sind, und uns dann in wahrer Demut unserm Herrn Jesus Christ darbringen; dann erkennt und bestätigt er uns als die Seinen.
Wir müssen uns jedoch auch merken, in der hier von Lukas erzählten Geschichte erniedrigt sich der Sohn Gottes einerseits für uns, anderseits fehlt es ihm doch nicht an unfehlbarem und sicherem Zeugnis dafür, daß er der vor der Zeit verheißene Welterlöser war; und wenn er sich in unsre Lage versetzte, so hat er dabei doch seine himmlische Majestät festgehalten. Beides also ist uns hier gezeigt: unser Herr Jesus Christ liegt da in einer Krippe, ganz arm ohne alle Ehre, ohne alles Ansehen, gleichsam in Knechtschaft geraten - und doch wird er von den Engeln des Paradieses gepriesen, sie huldigen ihm. Erst bringt ein Engel die Botschaft von seiner Geburt; aber er ist gleich begleitet von einer großen Schar, ja einem ganzen Heer, die gleichsam von Gott als Zeugen dazu gesandt sind, um anzuzeigen, daß unser Herr Jesus Christ doch der König der Welt geblieben ist und seine Herrschaft behalten hat, obwohl er sich zum Heil der Menschen so erniedrigt hat.
Und der Ort Bethlehem beweist ja auch, daß er der lange Verheißene war. Denn der Prophet Micha hat gesagt: Du Bethlehem, wiewohl du verachtet bist, einem unansehnlichen Flecken gleich, nur wenig bevölkert, dennoch soll mir aus dir der kommen, der mein Volk regiert, und seine Anfänge werden von Ewigkeit her sein. Wir sehen also, wie auf der einen Seite unser Herr Jesus Christ keine Mühe gescheut hat, damit wir leichten Zugang zu ihm hätten und nicht daran zweifelten, als sein Leib selber von ihm angenommen zu werden, weil er ja nicht nur sterblicher Mensch sein wollte und mit unserer Natur bekleidet, sondern gar wie ein armer Erdenwurm alles Glückes bar. Zweifeln wir also nicht daran, daß er uns immer für seine Glieder halten wird, wie erbärmlich wir auch daran sind.
Auf der andern Seite sehen wir ihn aber gleichsam von Gottes Hand gezeichnet, damit er ohne Schwierigkeiten von uns aufgenommen werde als der Mann, von dem man das Heil erwarten muß und durch den allein wir in Gottes Königreich Aufnahme finden können, aus dem wir zuvor verbannt waren. Denn wir sehn ja, welche Majestät er an sich hat, da die Engel ihn als ihren obersten und höchsten König anerkennen, und wir dürfen keinen Zweifel daran haben, daß er uns wirklich halten kann, wenn wir uns unter seiner Hut befinden. Und wenn er sich so erniedrigt hat, dann tut dies seiner göttlichen Majestät nicht den geringsten Eintrag, und ist kein Hindernis unsrer Sicherheit unter seiner Führung.
Er bringt auch alles mit sich, was wir zu unserm Heil brauchen
Nun sehen wir das Wesentliche an dieser Geschichte: einmal hat sich Gottes Sohn, unser Mittler, so mit uns verbunden, daß wir nie daran zweifeln brauchen, daß wir seines Lebens und all seines Reichtums teilhaftig werden. Und er bringt auch alles mit sich, was wir zu unserm Heil brauchen. Er hat ja, wie gesagt, sich nicht in dem Sinn erniedrigt, daß er seine göttliche Majestät nicht doch behalten hätte; wiewohl er vor den Menschen für nichts geachtet wurde, so ist er doch nicht nur Erbe dieser Welt geblieben (sofern er das Haupt der Kirche ist), sondern auch immer wahrhaftiger Gott.
Im übrigen wollen wir von den Leuen, die uns hier zu Lehrmeistern und Führern gesetzt sind, lernen, wie man zu unserem Herrn Jesus Christ kommen muß. Die Weisen dieser Welt sind ja nun freilich so anmaßend und aufgeblasen, daß sie wohl kaum werden Schüler so einfältiger Leute und solch armer Hirten sein wollen; und doch kämen wir zur höchsten Weisheit, wenn wir von diesen Hirten hier lernen wollten. Denn wenn wir auch aller Welt Weisheit in unserm Kopf drin hätten, was haben wir davon, wenn das Leben uns fehlt, das Leben nämlich, in dem die Schätze aller Weisheit verborgen sind, wie Paulus sagt (Kol 2,3). Bei diesem Punkt also heißt es beginnen: sich nicht schämen, denen zu folgen, die uns den Weg gezeigt haben, wie man zu unserm Herrn Jesus Christ kommt. Gott hat diese Ehre nicht den Großen dieser Welt, nicht den Reichen, nicht den Vornehmen erwiesen: die Hirten hat er erwählt. Dieser Ordnung wollen wir daher folgen.
Freilich sind ja auch die Weisen aus dem Morgenland gekommen, um unserem Herrn Jesus Christ zu huldigen; und doch haben die Hirten den Anfang machen müssen, damit jede Anmaßung beseitigt und jeder, der Christ heißen will, in der Welt ein Narr würde. Wir wollen also den närrischen Wahn abtun, als dürften wir die wunderbaren Geheimnisse Gottes nach unsern eingebildeten Begriffen beurteilen; wir sollen sie vielmehr ganz einfältig anbeten. Wir brauchen übrigens bloß den Glauben der Hirten erwägen, dann werden wir keine Schwierigkeiten mehr machen, ihnen zu folgen. Sie kommen und wollen den Erlöser der Welt anbeten, und wie finden sie ihn? In einer Krippe und in ein paar Tüchlein gewickelt; dies Zeichen hatte ihnen der Engel gegeben. Das hat doch wahrlich so ausgesehen, daß sie wohl hätten stutzen und wieder umkehren können, ohne Jesus Christ als ihren Heiland anzuerkennen.
Denn die Schriftgelehrten und Doktoren der Juden glaubten, daß der verheißene Erlöser prächtig kommen und sich die ganze Welt unterwerfen müsse, daß sie dann Güter des Lebens in Fülle hätten und alle Reichtümer der Welt bekämen. Als man ihnen nun sagte, sie werden ihn in einem Stall und in Windeln gewickelt finden, da war also dies freilich eine gefährliche Lage, die diesen armen Leuten den Mut hätte nehmen können, so daß sie nie zu unserm Herrn Jesus Christ gekommen, vielmehr ihm fremd geblieben wären. Dies Zeichen also wurde ihnen für den Welterlöser gegeben, daß er in einer Krippe liege, also gleichsam aus der Reihe der Menschen gestrichen sei. Und doch hält dies sie nicht ab. Sie kommen, erkennen ihn als den Herrn, bekennen es feierlich, daß Gott sich ihrer erbarmt und endlich die uralte Verheißung erfüllt habe und sich selber durch das ganze auffallende Ereignis bestätigt hat.
Weil nun der Glaube der Hirten so groß war und alles überwunden hat, was sie hätte davon abbringen können, zu unserm Herrn Jesus Christ zu kommen, so sind wir doppelt verpflichtet und doppelt unentschuldbar, wenn wir nicht bei ihnen in die Schule gehen und wenn die Geburt unsers Herrn Jesus Christ (wiewohl es ohne Ehre, Pracht und Vornehmheit dabei zuging) nicht aufhört, ein Anstoß für uns zu sein und uns davon abzuhalten, daß wir uns, wie sich's gebührt, zu ihm als unserm höchsten König halten, dem alle Herrschaft im Himmel und auf der Erde gegeben ist. Diese Mahnung haben wir wahrhaftig nötig; denn für die von Stolz und Einbildung Besessenen und für die, die sich für weise halten, ist die Lehre des Evangeliums doch bloß Anstoß.
Es gibt ja viele Schwärmer, die alles verwerfen, was ihrem Verstand zuwider ist. Dann gibt es daneben auch Spötter, die noch nie von ihren Sünden etwas empfunden haben; profane Menschen, die nicht daran denken, daß sie einmal zur Verantwortung gezogen werden, sie wissen nichts von einem besseren Leben als dem irdischen, und sie halten es bloß für dumme Einfalt, dem Sohn Gottes zu folgen und sich an ihn zu halten. Um so mehr sollen wir demgegenüber stark sein im Bewußtsein, Gottes Sohn hat nichts von seiner Majestät und Herrlichkeit verloren, ist nicht geringer geworden, als er sich zu unserm Heil erniedrigte, es soll uns vielmehr hoch erfreuen, wenn wir die unschätzbare Liebe und Güte sehen, die er für uns hegt.
Aus der Fülle des Heilands schöpfen
So also müssen wir diese Lehre anwenden, wollen tapfer zu unserm Herrn Jesus Christ gehen, obwohl wir auf den ersten Hieb nicht das in ihm finden, was unser Fleisch, d.h. unser natürlicher Sinn, wünscht. Aber wenn er auch bei seiner Geburt in Windeln gewickelt war und in einer Krippe lag, wir wollen doch fest dabei bleiben, daß er trotzdem immer unser Mittler war, der uns zu Gott, seinem Vater ziehen und uns Eingang in das Reich des Himmels schaffen sollte, aus dem wir ausgeschlossen waren. Und wen er auch heute noch nicht in Pracht regiert und wenn auch seine Kirche verachtet ist, und wenn auch sein Wort so einfältig ist, daß die Großen der Welt es verwerfen, - wir wollen uns dennoch fest an ihn halten und im wahren Glaubensgehorsam uns seiner Herrschaft unterwerfen. Wenn z.B. gepredigt wird, so ist das nichts besonders Anziehendes für uns. Man hört da einen Menschen reden; und was für einen? Er hat keine besondere Würde und Ehre; sodann gibt's da bloß das Wort zu hören; und was das Evangelium verkündet, das scheint uns vielfach ganz gegen die Vernunft zu sein, wenn wir's nach unsern Wünschen beurteilen. So wollen wir uns denn merken, daß wir nicht an das, was Gott uns zeigt und sagt, herankommen können, wenn wir nicht von vornherein gedemütigt werden.
Zur Bekräftigung seines Worts haben wir nun noch die Sakramente. Aber soll ein Tropfen Wasser dazu genügen, um uns der Sündenvergebung zu versichern, dessen, daß Gott uns zu Kindern angenommen hat und daß wir mit seiner himmlischen fehllosen Herrlichkeit bekleidet werden, wie hinfällig und gebrechlich wir auch sind? Soll für so große und herrliche Dinge ein bißchen Wasser uns Unterpfand und Sicherheit sein? Sollen ein Stück Brot und ein Tropfen Wein beim heiligen Abendmahl genug dazu sein, um uns dessen zu versichern, daß Gott uns als seine Kinder anerkennt und wir in Jesus Christ leben und in nichts von ihm geschieden sind? Es sieht ja viel eher danach aus, daß solche Zeremonien ohne alle Großartigkeit gar nichts sind.
Daran sehen wir's nun noch besser, wie das hier von den Hirten Gesagte uns betrifft und wir Nutzen daraus ziehen können: d.h. wir sollen unablässig zu unserm Herrn Jesus Christ gehen und sicher sein, wir werden in ihm alles Gut, alle Freude und alle Herrlichkeit finden, und wenn er auch gleichsam im Stall und in der Krippe und in Windeln zu liegen scheint, d.h. wenn auch vieles von ihm abwendig machen oder wenigstens die Augen blenden könnte, so daß wir die Herrlichkeit nicht sehen, die ihm von Gott, seinem Vater, gegeben ist. Gegeben ist sie ihm freilich, soweit es seine menschliche Natur betrifft, die er mit uns gemein hat; denn sofern er Gott ist, hat er ja alles aus sich selber (wie's im 17. Kapitel, Vers 5 des Johannes-Evangeliums heißt), aber in seiner Menschheit hat er alles, was er uns gebracht hat, geschenkt bekommen, damit wir aus seiner Fülle schöpften und in ihm alles fänden, was man wünschen darf, und Ruhe und Befriedigung in ihm allein hätten.
Und wo sollten wir das Leben suchen außer in Gott?
Weiter wollen wir auch merken, daß der heilige Geist uns dessen versichern wollte, daß wir in der Nachfolge der Hirten, die uns hier zu Lehrern und Führern verordnet sind, uns nicht vor Täuschung zu fürchten brauchen. Wenn die Hirten nichts anderes zum Zeichen bekommen hätten, als Stall und Krippe, dann könnten wir freilich sagen, es waren arme dumme Leute, die sich sinnlos in den Wahn verrannt haben, das wäre der Welterlöser, und es wäre einfach Leichtgläubigkeit in unsern Augen und wir könnten es bezweifeln. Aber die Hirten bekamen noch eine Bestätigung, so daß sie Gewißheit davon hatten, daß es Gottes Sohn wäre: der Engel erschien ihnen nämlich und dazu haben sie dann das Lied gehört, das Lukas nennt, wo das ganze himmlische Königreich unsers Herrn Jesus Christ Zeugnis gibt, daß er alle Macht über die Schöpfung im Himmel und auf Erden habe.
Wir wollen darum annehmen, was uns hier gesagt wird, um sicher im Glauben an Jesus Christ zu werden. Gott hat sicher die Undankbarkeit all derer überwinden wollen, die seinem einzigen Sohn die Huldigung verweigern, wenn er eine solche Schar von Engeln sandte, um zu verkünden, daß er der verheißene Erlöser wäre. Wer mag, der mag sich dann weiter in seinem Unglauben gefallen; es gibt ja genug so verbohrte Leute, die nicht die geringste Notiz von dem nehmen, was im Evangelium steht. Auch Spötter gibt's, denen es ganz gleichgültig ist, was man predigt, es ist ihnen so viel wert wie Märchenerzählen. Aber es gibt etwas, womit man den verstockten und teuflischen Widerstand all derer brechen kann, die sich unserm Herrn Jesus Christ nicht unterwerfen und ihm die Huldigung verweigern.
Denn wenn's auch viel Ungläubige gibt, eine unabsehbare Menge der Engel des Paradieses legt Zeugnis gegen sie ab, und sie sind die Diener der göttlichen Wahrheit. Mögen drum die Bösen und alle in Laster und Niedertracht verstrickten Leute sich darin gefallen und verhärten, es sind Zeugen da, die hinreichen, um ihre Verdammung zu erwirken. Die Engel des Paradieses sind erschienen, damit wir keine Entschuldigung mehr hätten, wenn wir Jesus Christ nicht als höchsten König anerkennen und uns seiner Majestät beugen. Wir unsrerseits wollen dabei beachten, wie Gott für unser Heil bedacht war, da er so viel Engel sandte, damit wir kühnlich und freimütig, ohne Zweifel und Bedenken, zu unserm Herrn Jesus Christ kommen könnten; wir sollten ganz sicher darin sein, daß wir in ihm alles finden, was uns fehlt, und er in unsere Armut und in unser Elend seine ganze Fülle legen kann, mit einem Wort, daß durch ihn Gott sich mit uns verbünden will. Und wo sollten wir das Leben suchen außer in Gott? Und nun wohnt die ganze Fülle der Gottheit in Jesus Christ.
Wenn wir solch Zeugnis für uns haben, so ist das, wie wenn Gott beide Arme ausbreitete und uns seine unermeßliche Güte fühlen ließe, wie wenn er uns sagte, wenn wir an Jesus Christ glauben (mit ungeheucheltem Glauben natürlich), uns ganz auf ihn verlassen, im Bewußtsein, daß er uns alles geben muß, dann werden wir an all den Gütern, die uns fehlen und nach denen wir uns sehnen, Teil bekommen. Und wen wir freilich auch heutzutage die Engel nicht mehr sehen, die damals auch nur für einen Augenblick erschienen sind, so ist das Zeugnis davon doch aufgeschrieben und soll glaubwürdig sein; durch den Mund des heiligen Lukas hat ja der heilige Geist geredet. So seien wir damit zufrieden, durch die Engel ein solches Gotteszeugnis von der Geburt unsers Herrn Jesus Christ zu haben, und im Hinblick darauf, wie er Mensch geworden und sich ganz für uns zunichte machen ließ, wollen wir voll Freude zum Königreich der Himmel streben und in wahrer Glaubenseinigkeit an ihm hangen.
Dass Josef eine schwangere Frau nach Bethlehem mitnahm – da war Gott am Werk
Weiterhin müssen wir nun aber auch den Ort seiner Geburt betrachten, d.h. Bethlehem. Und es ist keine geringe und unwichtige Bestätigung, wenn der Sohn Gottes also demnach so geboren wurde, wie es längst zuvor der Prophet verkündet hat. Wenn nun Josef und Maria in Bethlehem daheim gewesen wären und sich dort niedergelassen hätten, dann wäre es nicht so seltsam gewesen, wenn sie dort niedergekommen und Jesus Christ dort geboren wäre; aber das, was wir heute davon haben, wäre doch sehr verdunkelt, denn man würde dabei nicht merken, mit wie gutem Recht der Prophet gesagt hatte: Bethlehem, wiewohl du heute als ein kleiner Flecken verachtet bist, so wirst du doch den hervorbringen, der meines Volkes Führer sein soll. Aber da Josef und Maria in Nazareth wohnen und gerade zur Zeit der Niederkunft in die Stadt Bethlehem kommen und Jesus Christ hier geboren wird, wer sieht da nicht, wie Gottes Hand dies alles geführt hat? Die Menschen müssen schon absichtlich und böswillig die Augen verschließen, wenn sie hierbei nicht Gottes Werk erkennen wollen, der seinem einigen Sohn ein Merkzeichen mitgab, damit man ihn ohne Bedenken als den Verheißenen aufnehme.
Es hatte ja nun freilich seinen Grund, wenn Josef nach Bethlehem kam; der Grund war der Erlaß des römischen Kaisers. Aber daß er dabei die schwangere, ihrer Niederkunft nahe Frau mitnahm, das stammte sicher nicht von Menschen, da war Gott am Werk. Wir sehen da auch, auf welch seltsame Weise Gott seinen Willen durchführt. Der kaiserliche Erlaß war ja die reine Gewalttätigkeit, das jüdische Volk sollte eben drangsaliert werden, jeder einzelne sollte Steuer bezahlen, man wollte ihnen zeigen, daß sie keine Freiheit zu erwarten hätten; Jesus Christ war aber doch als Befreier der Juden und Gläubigen vom Joch des Satans und aller Tyrannei verheißen; dieser Erlaß sah gerade aus, als wollte er Gott die Türe zuschlagen und ihn hindern, seine Verheißungen an sein Volk wahr zu machen. Und hat doch helfen müssen, sie zu erfüllen. Den wenn nun Maria und Josef als arme Leute daher kommen, den heidnischen, ungläubigen Tyrannen untertan, und ihnen in Bethlehem Jesus Christ geboren wird, da zeigt sich gerade die Wahrheit der Weissagung. So also müssen wir das hier Erzählte auf uns anwenden. Denn uns eben bloß die Geschichte zu erzählen, die einmal passiert ist, das war nicht die Absicht des heiligen Lukas oder vielmehr des heiligen Geistes, der durch seinen Mund geredet hat. Sondern einerseits hat er uns hier klar machen wollen, wie Gottes Sohn alles hergegeben hat für uns, und anderseits, wie er doch ein untrügliches Merkzeichen an sich trug, daß er der Erlöser sei, damit man ihn als solchen aufnehme.
In einer Hölle von Schrecken müßten wir sein, ... wenn der Teufel uns nicht bezauberte und fühllos machte
Wir wollen indessen doch auch insofern Nutzen aus der Geschichte ziehen, als wir uns dem Lobgesang der Engel zur Verherrlichung Gottes anschließen und dankbar annehmen, was Gott uns hier für Seelenfreude macht. Der Engel, der den Hirten die Botschaft brachte, sagt nun zunächst: "Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude". Und daran schließt sich gleich das vielstimmige Zeugnis des ganzen Heers, das Gott schickt: "Friede den Menschen auf Erden". Das also ist das erste, was wir hiervon zu behalten haben, daß wir in Jesus Christ unsre Freude suchen sollen. Wenn wir auch sonst alle Lust und alles Vergnügen hätten und uns nur so darin baden könnten, - wenn wir nicht ganz betäubt und abgestumpft wären, so hätte unser Gewissen doch nie Ruhe; dieser Wurm (so nennt es ja die Schrift) würde an uns nagen, wir würden von unsern Sünden verklagt und müßten es fühlen, daß Gott mit vollem Recht uns feind ist und widersteht. Drum weh allen Freuden der Welt, denn sie werden sich in Zähneklappern verwandeln, solange die Menschen nicht mit Gott im Reinen sind. Verdammt drum alle Freude, alle Ehre, überhaupt alles, was man wünschen kann, bis wir bei Gott in Gnaden sind.
Und so versöhnt können wir uns dann recht freuen, nicht in weltlich irdischer Freude, sondern so wie's uns der heilige Geist verheißen hat. Die beiden Dinge gehören zusammen, der Friede und die Freude. Wenn wir uns nämlich von soviel Elend umgehen sehen, wie können wir uns denn freuen? Und weiter, wenn wir daran denken, daß wir in Adam verdammt sind, daß wir Kinder des Zorns sind, daß Gott unser Richter ist und in der Kraft seiner Rache uns vernichten kann, wie könnten wir uns in solcher Lage freuen? Wenn wir daran denken, dann müßten wir eigentlich niedergeschlagen sein vor Ruhelosigkeit, ja in einer Hölle von Schrecken müßten wir sein, die über alle Angst in der Welt hinausgeht, wenn der Teufel uns nicht bezauberte (und fühllos machte); es gibt ja viele, die sind noch immer lustig, obwohl sie mit Gott im Kriege leben. Aber wenn noch ein Funke von Gefühl in uns ist, dann werden wir gewiß immer in Qualen bleiben, bis Gottes Gnade uns bekannt wird. Darum eben muß dieser Friede das erste sein; wir müssen wissen, daß Gott uns als seine Kinder annimmt, indem er uns unsre Sünde nicht zurechnet. Und sind wir dann so im Frieden mit Gott, dann können wir uns auch freuen, mit Gott freuen, wie ich schon angedeutet habe.
Die Ungläubigen haben ja freilich auch eine Art Frieden, d.h. sie sind eben so stumpf geworden, daß ihnen Gottes Gericht gar nichts mehr gilt, ja sie spotten seiner sogar; aber das ist kein Friede mit Gott. Denn sie haben nur dann Frieden und Ruhe, wenn sie Gott und sich selber vergessen und ganz empfindungslos werden. Paulus aber mahnt uns dazu, Frieden mit Gott zu haben, d.h. auf ihn zu schauen und nach Versöhnung zu trachten, d.h. in seine Nähe zu kommen und dann seiner Liebe gewiß und versichert zu werden. Und wie wird das sein können? Durch die Sündenvergebung, durch seine freie Güte, die er in unserm Herrn Jesus Christ uns entgegenbringt. Merken wir uns also gut, daß der Friede, den hier die Engel des Paradieses verkünden, die Freude schuf, von der der erste Engel mit jenen Worten sagte, "siehe, ich verkündige euch große Freude", d.h. das Heil, das ihr in Jesus Christ empfangt. Er heißt unser Friede, und dieser Name sagt, daß wir Gott ganz entfremdet sind, wenn er uns nicht durch seinen einigen Sohn zu Gnaden annimmt. Dann haben wir auch etwas zu rühmen, wenn Gott uns als seine Kinder anerkennt, wenn er uns die Erlaubnis gibt, ihn laut unsern Vater zu nennen, freimütig zu ihm zu kommen und bei ihm unsere Zuflucht zu haben.
Dazu wollen wir hieraus entnehmen, daß Gott es so geordnet hat, daß das Evangelium durch die Menschen verkündet wird, daß aber doch die Engel den Vortritt dabei gehabt haben. Heut freilich muß die Kirche ihre Unterweisung durch sterbliche Geschöpfe empfangen; und doch bringen wir dabei nichts neues, sondern wiederholen nur die Predigt, die die Engel des Paradieses gehalten haben, keine kleine Schar, sondern eine unabsehbare Menge, ein großes Heer. Es muß uns übrigens zum Preis unseres Gottes entzünden, wenn wir so völlig seiner Güte versichert werden. Darum sind auch die beiden Dinge miteinander verbunden, der Aufruf der Engel zum Preis Gottes und die Gabe des Friedens auf Erden. Wir dürfen uns der Gabe freuen, die Gott uns durch unsern Herrn Jesus Christ seinen einigen Sohn gegeben hat. Er hat diesen Frieden gebracht, damit unser Lob zum Himmel steige, damit es die Wolken durchdringe und die Erde dieses Lied widerhalle; Gott soll überall gepriesen und verherrlicht sein.
Das ist der wahre Lobgesang, wenn jeder sich dem Dienst Gottes weiht
Wir wollen hieraus nun auch entnehmen, daß unser Mund stumm bleiben wird und wir nie werden Gott loben können, wenn er uns nicht seine Güte hat erfahren lassen. Wie sollten denn arme Sünder, die Angst und Gewissensbisse in sich spüren, die nicht wissen, ob Gott sie liebt oder haßt, wie sollten die Gottes Namen preisen können? Die Angst wird sie vielmehr in sich selber verschließen, so daß sie den Mund nicht werden auftun können. Drum muß Gott uns in erster Linie recht von seiner Liebe zu uns Zeugnis geben, damit wir fest dabei bleiben, daß Gott stets unser Vater ist; damit haben wir dann auch Grund, seinen Namen zu preisen. Aber wenn es wahr ist, daß wir Gott nicht loben können, ehe er uns seine Güte gezeigt hat, dann wollen wir doch auch das andere lernen, daß unser Glaube nicht faul und tot sein darf; wir wollen uns zum Lobpreis Gottes aufreizen lassen, wenn wir's erleben, wie er alle die großen Schätze seiner Barmherzigkeit über uns ausschüttet; da soll der Mund das Seine tun und unser ganzes Leben soll das Echo dazu sein. Denn das ist der wahre Lobgesang, wenn jeder sich dem Dienst Gottes weiht, im Bewußtsein, daß, wenn er uns so teuer erworben hat, mit Fug und Recht all unsere Gedanken und Werke bloß dazu da sein sollen, daß sein Name gepriesen werde.
Und wenn wir dann merken, daß wir wirklich die Seinen sind, dann sollen wir erst recht wissen, daß es nur sein Wohlgefallen war, uns aufzunehmen, und daß alles bloß von seiner freien Güte herkommt. Darum steht mit gutem Grund nicht bloß da, Friede sei den Menschen gegeben, sondern durch Gottes Wohlgefallen sei er ihnen gegeben, nicht als Verdienst, nicht als hätten sie selber ihn erworben. Das Wort, das Lukas hier gebraucht, bedeutet vor allem eben dies, daß wir für die Tatsache, daß unser Herr Jesus Christ uns erschienen ist, keine andere Begründung suchen sollen als die, daß Gott eben Mitleid und Erbarmen mit unserm Elend gehabt hat. So heißt es ja auch im 3. Kapitel des Johannes-Evangeliums: also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns in den Tod gegeben hat.
Daß es nun Gott in uns heißt, weil es vorher Gott mit uns hieß
In diesem Geist wollen wir vor unseren Herrn Jesus Christ treten; die Botschaft, die hier die Engel verkünden, soll uns gleich einer brennenden Fackel den Weg weisen, der Glaube soll unser Führer sein und wir sollen wissen, daß es nun Gott in uns heißt, weil es vorher Gott mit uns hieß; Gott mit uns, so heißt es, weil er in unsrer menschlichen Natur hat wohnen wollen wie in einem Tempel; nun aber ist er "Gott in uns", d.h. wir erfahren seine Verbundenheit mit uns viel stärker als damals, wo er sich als sterblicher Mensch hat sehen lassen. Ja, sogar Gott und Mensch zugleich ist er in uns.
Denn einmal macht er uns durch die Kraft seines heiligen Geistes lebendig, sodann aber ist er auch Mensch in uns, sofern er uns an dem Opfer Anteil gibt, das er für unser Heil gebracht hat; mit gutem Grunde hat er ja gesagt, sein Fleisch sei in Wahrheit Speise und sein Blut in Wahrheit Trank. Eben darum ist ja auch das heilige Mahl für uns zubereitet, wir sollen aus ihm erkennen, daß unser Herr Jesus Christ zu uns herabgestiegen und ganz niedrig geworden ist und daß er mit uns vereint bleibt, wiewohl er in die Herrlichkeit der Himmel emporgestiegen ist; das geschah ja vielmehr eben dazu, damit wir an seinem Fleisch und Blut Anteil bekämen. Wieso? Wir wissen doch, seine Gerechtigkeit und sein Gehorsam sind die Genugtuung für unsere Sünden, er hat den Zorn Gottes versöhnt durch das Opfer, das er mit seinem menschlichen Leib und Blut, das er mit uns teilte, gebracht hat. Wenn das so ist, dann dürfen wir nicht daran zweifeln, daß Jesus wirklich in uns Wohnung nimmt, wenn er uns zu diesem Tisch lädt, wiewohl wir bloß Brot und Wein wahrnehmen, daß wir so innig mit ihm vereinigt sind, daß alles, was er zu eigen hat, auch uns gehört.
Das, sag ich, sollen wir wissen, damit wir auch etwas von diesem Sakrament haben, das uns durch ihn bereitet ist; und so oft wir uns rüsten, es zu empfangen, sollen wir bedenken, daß Gott uns sicherlich auf anderem Wege aus dem Abgrund unsers Verderbens herausgerissen hätte, wenn er gewollt hätte; er hat uns aber nur seiner Liebe um so gewisser machen wollen, wenn wir nun Jesus Christ zum Unterpfand haben; in ihm sollen wir all unser Glück suchen und wissen, daß es keine Freude für uns gibt, sie sei auch wie sie sei, außer wenn er gleichsam ihr Mittelpunkt ist und uns so nahe ist, daß er uns zum Königreich der Himmel führen kann, aus dem wir unsrer Sünden wegen verbannt und ausgestoßen waren. So soll also unser Herr Jesus Christ das Ziel unsers Heils sein, sonst können wir nicht in die Nähe Gottes kommen und keine wahre geistliche Freude, keine Befriedigung und keine Ruhe haben, sonst können wir auch nicht gegen die Versuchungen gewappnet sein, in die uns der Teufel hineinbringen möchte. Aber um an diesem heiligen Mahl Anteil zu bekommen, wollen wir zuerst an uns selber denken, in erster Linie unser Elend erkennen und uns darin auch wirklich mißfallen und verlegen darüber werden. Und dazu sollen wir dann wissen, daß Gott unsre Angst und Traurigkeit hat versüßen wollen, indem er in seinem einigen Sohn sich selber uns geschenkt und uns dadurch die vollkommene Freude bereitet hat. Und wenn wir auch noch reichlich den Armseligkeiten dieser Welt ausgeliefert sind, und wenn uns auch die Feinde wie reißende Wölfe umlagern, und wenn auch der Teufel unaufhörlich unter uns nach Beute trachtet, und wenn uns auch die Ungläubigen anbellen wie tolle Hunde, und wenn wir auch von Nöten umgetrieben und von allen Seiten bedroht sind, und wenn wir auch viel Ärgernis erleiden müssen, - trotz alledem dürfen wir ganz sicher sein, daß wir mit unserm Gott im Frieden stehen; und wir wollen ihn bitten, daß er uns das durch seinen heiligen Geist auch fühlen lasse. Dies ist ja auch eine Sache, die den Menschenverstand übersteigt (so sagt Paulus in Phil 4,7, wie schon bemerkt) und wir wollen lernen, an unserm Herrn Jesus Christ und den geistlichen Gütern, an denen er uns Anteil gibt, genug zu haben, so daß wir um dessentwillen alle Nöte und Anfechtungen dieser Welt geduldig tragen können. Es soll uns nicht leid sein, von allen Seiten verachtet und belästigt zu werden, kurz, aller Schmach und Schande preisgegeben zu sein, wenn nur Jesus Christ mit uns ist, wenn nur er all unsere Nöte und Anfechtungen segnet, und wenn nur soviel dabei herauskommt, daß man merkt, wie wir mitten in unsern Nöten doch nur das Eine wollen: Gott verherrlichen. Und wenn die Weltmenschen in ihr Verderben hinein triumphieren, wenn sie sich nur im Kampf gegen Gott freuen können, dann soll unsere Freude die sein, in aller Furcht und Demut ihm zu dienen und uns ganz bloß seinem Gehorsam zu weihen. Das ist der Nutzen, den wir aus dieser Geschichte zu ziehen haben.
aus: Diener am Wort Gottes. Eine Auswahl seiner Predigten. Übersetzt von Erwin Mülhaupt. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1934, 99-110.
Die Redaktion dankt Sylvia Hoffmann-Mosolf, Bad Eilsen für den Hinweis auf die Predigt und das Erstellen der Worddatei.
Johannes Calvin