Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Zürcher Wurstessen (1522)
Reformierte Inspirationen durch Zwingli
Zwingli in seiner Zeit
Die Schweizer Eidgenossenschaft war schon damals ein Sonderfall in Europa: Der Adel war vertrieben. Die Kantone regierten sich selbst. Es gab keine Fürsten und keine Könige. Nur der Kaiser wurde anerkannt, aber der war weit weg. Zur Zeit Zwinglis waren die Eidgenossen ein kriegerisches Volk. Sie waren für ihre Brutalität berüchtigt und wurden deshalb gerne als Söldner angeworben.
Die Sonderrolle der Schweizer Eidgenossen geht zudem zurück auf zwei Kriege: den Schwabenkrieg von 1499 und die Schlacht von Marignano von 1515. Im ersten Krieg können sich die Eidgenossen gegen Kaiser Maximilian durchsetzen. Sie vergrößern ihre Selbstständigkeit im Reich und erlangen eine gewisse Unabhängigkeit vom Kaiser. 14 Jahre später ziehen die Eidgenossen erneut in den Krieg. Es geht um das Herzogtum Mailand und um Handelsrouten nach Italien. Die Eidgenossen verbünden sich zuerst mit den Franzosen, dann mit dem Papst und erleiden schließlich 1515 eine katastrophale Niederlage. Auf beiden Seiten kämpfen Schweizer Söldner. 10.000 kommen bei der Schlacht von Marignano ums Leben. Trotz dieser Niederlage bekommen die Eidgenossen die Südtäler in den Alpen zugeschlagen und sie erhalten Handelsprivilegien. Festgehalten wird das in einem Friedensvertrag mit dem Französischen König.
Trotz dieses Friedensvertrages hat der Krieg bei den Eidgenossen Spuren hinterlassen. Vor allem bei Zwingli. Er selbst hat als Feldprediger an Feldzügen nach Italien teilgenommen. Aber nach dem blutigen Gemetzel von Marignano macht er eine Kehrtwende in seinem Leben. Er ist zwar weiterhin ein Anhänger der päpstlichen Militärpolitik, aber in ihm rumort es. Er wird bald zu einem entschiedenen Gegner des Söldnerwesens. Und in seiner zweiten Pfarrstelle am berühmten Wallfahrtskloster Maria-Einsiedeln beginnt er 1518, kirchliche Missstände zu kritisieren. Das ist in dem Jahr, in dem sich erste Nachrichten aus Wittenberg ausbreiten, und es ist das Jahr, in dem Luthers Thesen gegen den Ablass einem größeren Publikum bekannt werden.
Zwingli beschließt, 1519 eine Berufung als Leutpriester an das Zürcher Großmünster anzunehmen. Zürich hat damals etwa 60.000 Einwohner und Einwohnerinnen – zwanzigmal so viele wie Wittenberg. Regiert wird die Stadt durch einen ›Großen Rat‹ und durch einen ›Kleinen Rat‹. Zum ›Kleinen Rat‹ gehören die beiden sich abwechselnden Bürgermeister sowie vor allem die Zünfte und wenige Adlige. Der ›Kleine Rat‹ hat eine hohe Machtfülle; er ist gleichzeitig Regierung, Parlament sowie oberster Gerichtshof. Auch bei bestimmten kirchlichen Fragen versucht der Rat, Kompetenzen an sich zu ziehen.
Dies ist dem Rat möglich, weil der zuständige Bischof in Konstanz sitzt. Das Bistum ist das größte Bistum im ganzen Deutschen Reich. Es umfasst 1.800 Pfarreien, 350 Klöster und 15.000 Priester. In dem riesigen Bistum bildet Zürich ein eigenes Archidiakonat. Zürich war in gewisser Weise also eine eigenständige Verwaltungseinheit des Konstanzer Bistums.
Diese politischen und kirchlichen Gegebenheiten im Zürcher Stadtstaat sind Voraussetzungen für die rasche Einführung der Reformation in Zürich.
Zürich ist damals eine aufstrebende Handelsstadt und zugleich ist sie von der traditionellen Frömmigkeit des Spätmittelalters geprägt. Das sieht man schon beim Gang durch die Stadt. Das Stadtbild ist von zahlreichen kirchlichen Institutionen durchzogen: Das Großmünsterstift mit der Pfarrkirche St.Felix und Regula, die Benediktinerinnenabtei am Fraumünster, die Pfarrkirche St. Peter, die Klöster der Prediger, Barfüßer und Augustinereremiten, Dominikaner am Oetenbach und zu St. Verena. Weitere Einrichtungen gab es am Stadtrand und im Umland.
Die zahlreichen kirchlichen Einrichtungen zeugen von einer intensiven Volksfrömmigkeit in Zürich. Diese Frömmigkeit wurde befördert durch die Erfahrung von Tod und Sterben in Kriegs- und Pestzeiten. Aber auch der Reichtum der Stadt spielt eine Rolle. Es gab Bruder- und Schwesternschaften, Prozessionen und Wallfahrten, Ablässe, Heiligen- und Reliquienverehrung sowie kirchliche Kunst und erste Drucke geistiger Literatur.
Mittelpunkt der Frömmigkeit war die Messfeier, die Wiederholung des Opfers Christi am Kreuz, und die damit verbundene Erlösung des Menschen von Sünde und Schuld. Der tägliche Vollzug des Messopfers war Pflicht eines jeden Priesters. Die Messe vermittelte den Lebenden, aber auch den Verstorbenen im Fegefeuer, die sichtbare Gnade Gottes. Diese Vorstellung führte zu einer starken Vermehrung der Messen, aber auch zu Vermarktung und Sinnentleerung. Nicht nur dem Volk, auch vielen Priestern waren nicht mehr klar, worum es bei der Messe eigentlich ging.
Neben der Messe gab es auch den Predigtgottesdienst. Er war Sache der Leutpriester oder der Orden. Er diente in erster Linie der Erbauung. Zwingli ist einer von diesen Leutpriestern, als er am 1. Januar 1519 seinen Dienst in Zürich aufnimmt. Er beginnt eine fortlaufende Auslegung des Matthäusevangeliums. Predigt des Evangeliums ist sein Programm auf den Spuren der Reformation in Wittenberg.
Mitten drin statt nur dabei – Resonanz auf gesellschaftliche Prozesse
„Zwingli war ein Lebemann“: Mit diesem Artikel hat vor einiger Zeit die Neue Zürcher Zeitung ihre Leser überrascht. Darin heißt es: „Zwingli war gar kein Zwinglianer. Er war Gourmet, trank mit Genuss und war für weibliche Reize empfänglich. Zum 500-Jahr-Jubiläum [braucht es eine] Rehabilitierung eines vermeintlichen Lustfeindes.“ Ob Zwingli ein Gourmet war, kann man mit einem vorsichtigen Ja beantworten. Er liebte Schweizer Milchsuppe, die beim Ersten Kappeler Landfrieden 1529 als Friedensspeise bekannt wurde. Im ostschweizerischen Wildhaus kann man die Küche seines Elternhauses besichtigen. Sie ist von ähnlichem Ausmaß wie das Arbeitszimmer seines Vaters, des Ortsbürgermeisters. Ob Zwingli mit Genuss trank, kann man mit einem kräftigen Ja beantworten. Der Weingenuss zählt zu den reformatorischen Freiheiten. Und was Zwinglis Empfänglichkeit für weibliche Reize betrifft, kann man klar sagen: Ja, so war er, und das war nicht immer gut so. Zwingli war auch hier mitten drin statt nur dabei.
Wer ist der Mann, der sieben Wochen nach Martin Luther zur Welt kommt und mit diesem mehr teilt, als viele vermuten? Wer ist der Mensch, von dem der Theologe Karl Barth sagte, dass er „wie eine überhängende Wand“ vor ihm stehe. Wer ist der Reformator, der in der dramatischen Situation des Ersten Kappeler Krieges 1529 den Rat von Zürich mahnt, „um Gottes Willen etwas Tapferes“ zu tun und sagt: „Bleibt standhaft in Gott […], bis das Recht durchgesetzt wird.“
Zwingli ist ein Mensch, der beherzt in die Öffentlichkeit tritt und das Öffentliche zu seiner Sache macht. Neben aller religiösen Hingabe an Gott lenkt er seinen Blick auf das soziale Gefüge unter den Menschen – als Pfarrer und als politisch denkender Mensch. Er interessiert sich brennend für die Menschen und ihre soziale Situation in einer Zeit des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit.
Das fängt schon früh in seinem Leben an. Als Zwingli im Sommer 1506 Priester in der Stadt Glarus wird, liegt ihm ein Thema besonders am Herzen: das sogenannte Reislaufen, was nichts mit dem Nahrungsmittel Reis zu tun hat. Reisige sind Soldaten. In der Schweiz gab es die Einrichtung des Reislaufens, bei dem Städte und Ortschaften junge Männer als Soldaten für fremde Heere zur Verfügung stellen mussten – etwa für das Haus Habsburg, für Frankreich oder die päpstlichen Truppen. Weil das gut bezahlt wurde, konnten die Orte ihre eigenen Finanzen aufbessern. Ein Fundraisingmodell der besonderen Art!
Zwingli ist das von Anfang an ein Dorn im Auge. Seine Kritik am Dienst von Soldaten in einem fremden Heer wächst im Jahr 1515. Damals wird er Zeuge der schrecklichen Schlacht von Marignano in der italienischen Lombardei, bei der viele Tausend Schweizer Söldner gegen die Franzosen umkommen. Dieses Ereignis schockt Zwingli zutiefst. Später schreibt er: [Folie Banker] „Fragt nun aber jemand: Wie können wir denn wieder zu Einigkeit und Frieden kommen? So hieße die Antwort: Mit der Beseitigung des Eigennutzes.“ Einigkeit und Frieden lassen sich nicht durch Waffen herstellen. Vielmehr sollen die Menschen verstehen, was der Grund für Unfrieden ist – nämlich der Eigennutz und die Unfähigkeit, die Interessen der anderen zu begreifen.
Nun steht Zwinglis Entschluss fest: Er will das Fremdenlegionswesen in Glarus nicht durch seine Anwesenheit unterstützen und quittiert den Dienst als Priester. Hier wird deutlich: Zwingli hat ein Auge nicht nur für den Glauben der Menschen, sondern auch für ihre Lebensbedingungen. Er ist davon überzeugt, dass Kriegsdienst der Stadt schlecht bekommt. Kräftige junge Männer sind für die Stadt und ihre Entwicklung verloren, und wenn sie zurückkommen, bringen sie die Rohheiten des Krieges mit. Das soziale Gefüge der Stadt droht in eine Schieflage zu geraten. Die Menschlichkeit und das Zusammenleben nehmen Schaden.
Auch später, als er 1519 Pfarrer am Zürcher Großmünster wird, ist er brennend daran interessiert, wie der Glaube im Alltag ein Gesicht bekommt. Das Christliche lässt sich nicht auf die religiöse Innerlichkeit beschränken. Es erstreckt sich auf den ganzen Menschen und auf sein Leben – ob im kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Bereich. Wer danach fragt, wie man achtsam mit der Not der Schwachen umgehen kann, der kann sich auf Zwingli berufen. Ihm ist es wichtig, dass Menschen in Not Hilfe und Unterstützung bekommen.
So lebt er auch selber: Als die Pest in Zürich wütet, geht er zu den Kranken und Sterbenden, um sie zu trösten. Dabei steckt er sich an, ist monatelang krank und kommt nur mühsam wieder auf die Beine: „Es ist nicht die Art eines christlichen Menschen, großartig über den christlichen Glauben bloß zu reden, sondern zusammen mit Gott immer Schwieriges zu meistern und Großes zu tun.“ Auf das Tun des Guten kommt es an. So leben Christen wahrhaft christlich, wenn sie selber anpacken, Not lindern und sich öffentlich für ein friedliches Zusammenleben stark machen. Das gilt auch für die Kirche: Wenn sie nah bei den Menschen ist und sich für ihre Situation interessiert, ist sie Kirche im Sinne Zwinglis. Wo immer das geschieht, tun Christen um Gottes Willen etwas Tapferes.
Auf Gott hören und ihn loben – Bibel, Gottesdienst und Spiritualität
Wir haben schon gehört, dass Zwinglis reformatorische Tätigkeit in Zürich ganz wesentlich geleitet und begleitet ist von seiner Auslegung der Heiligen Schrift. Schon in seiner zweiten Pfarrstelle in Einsiedeln studierte er eingehend das Neue Testament. Große Teile des von Erasmus herausgegebenen griechischen Neuen Testaments schreibt er eigenhändig ab und lernt es auswendig. Dies führt Zwingli immer weiter zu Reformgedanken, wie sie auch in humanistischen Kreisen geäußert wurden. So erwarb sich Zwingli den Ruf eines gelehrten und engagierten Priesters, was zu seiner Berufung an das bedeutende Großmünster in Zürich führte. Dort beginnt er 1519 seine Predigttätigkeit mit der Auslegung des Matthäusevangeliums. In den zwölf Zürcher Jahren legt er seiner Gemeinde hintereinander das Neue Testament aus (ohne die Offenbarung des Johannes) und ab 1525 das Alte Testament. Er schafft etwa ein Kapitel pro Woche.
Dass Zwingli sich so intensiv mit dem Alten Testament beschäftigt, hat zwei Gründe. Zum einen entdeckt Zwingli die zentrale Bedeutung des Alten Testaments für das Verständnis des Neuen Testaments. Ja, mehr noch: Zwingli setzt voraus, dass beide Testamente absolut gleichwertig sind und dass es nur einen einzigen Bund gibt. Zwingli ist m.W. damit der erste christliche Theologe, der das so formuliert hat. Über viele Jahrhunderte hinweg ist dieser Gedanke ein Alleinstellungsmerkmal der reformierten Theologie.
Der andere Hintergrund für Zwinglis intensive Beschäftigung mit dem Alten Testament ist eine richtungsweisende Einrichtung in Zürich: 1525 wird die sog. ›Prophezei‹ gegründet. Dabei handelt es sich um eine theologische Arbeitsgemeinschaft aller Pfarrer und Studenten. Fünfmal die Woche kommt die Gruppe morgens um 8 Uhr im Chor des Großmünster zusammen. Nach einleitendem Gebet wird in kontinuierlicher Reihenfolge eine alttestamentliche Textstelle zuerst lateinisch verlesen. Das macht ein Student. Dann wird der Text hebräisch gelesen und von da ins Lateinische zurückübersetzt, erklärt und verglichen. Dafür ist ein eigens eingestellter Hebraischlehrer zuständig. Ebenso verfährt man mit der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes. Das ist anfangs Zwinglis Aufgabe.
Zum Schluss folgt die deutsche Übersetzung mit einer Auslegung. Das besorgt einer der anwesenden Prediger. Dabei sind Einwürfe, Nachfragen und Vorschläge zum besseren Verständnis aus dem Teilnehmerkreis willkommen; es ist also eine Art Seminarbetrieb. Später wird aus der ›Prophezei‹ eine theologische Hochschule und schließlich die 1833 gegründete Universität Zürich.
Zu Zwinglis Lebzeiten werden in der ›Prophezei‹ alle Bücher des Alten Testaments behandelt. In der parallelen Einrichtung im Fraumünster werden die neutestamentlichen Texte durchgearbeitet. Das Ergebnis ist die erste vollständige Bibelübersetzung der Reformation: die Zürcher Bibel von 1531. Sie erscheint damit drei Jahre vor der ersten vollständigen Luther-Bibel. Dass die Zürcher schneller waren, hängt auch damit zusammen, dass man in der Schweiz über die besten Hebraisten verfügte.
Überraschen könnte vielleicht den einen oder die andere, dass die Zürcher Bibel Abbildungen enthält und sogar Gott selbst in menschlicher Gestalt darstellt. Denn die Zürcher Reformation ist bekannt für ihre schlichten Gottesdiensträume. Die Kultbilder sind aus ihnen entfernt und vielfach auch die Kreuze. Regelmäßig wird den Zürchern sogar ein systematischer Bildersturm, die gewaltsame Entfernung und Vernichtung aller gottesdienstlichen Bilder, unterstellt. Zwar hat es 1523 vereinzelt solche Aktionen gegeben. Aber ein allgemeiner Bildersturm fand nicht statt. Vielmehr werden die Bilder 1524 auf Beschluss des Zürcher Rates im Beisein eines Bevollmächtigten fachkundig abgenommen und den Eigentümern und Spendern zurückgegeben.
Zwingli selbst warnt ausdrücklich vor der eigenmächtigen Zerstörung von Bildern. Aber er unterstreicht, dass Bilder an allen Orten, wo sie verehrt werden und damit als Götzen dienen, weggenommen werden sollen. Auf diese Weise sollen sich die Menschen ganz dem lebendigen und wahren Gott zuwenden. Sie sollen alle Hilfe und Trost bei Christus selbst suchen. Anstatt der Kirche Bilder zu stiften, sei es sinnvoller, die Gelder den armen und bedürftigen Menschen zukommen zu lassen. Denn nicht Statuen, sondern diese bedürftigen Menschen seien die wahren (Eben-)Bilder Gottes.
Diese Auffassung Zwinglis schließt keineswegs den Besitz und die Schaffung von bildlichen Darstellungen aus. Nur, wo sie der Verehrung und Anbetung dienen, zieht Zwingli eine Grenze. Die angebliche reformierte Bilderfeindlichkeit ist also eine Kultbilderfeindlichkeit. Sie hat bilderfreie Abendmahlstische zur Folge, nicht aber bilderfreie Städte oder Bibeln.
Und auch eine zweite Maßnahme der Gottesdienstreform irritiert zunächst. Ich meine die Abschaffung von Gesang und Orgeln. Diese Maßnahme Zwinglis richtet sich nicht gegen unsere heutige Form der Kirchenmusik. Die gibt es damals nämlich noch nicht; sie entsteht gerade erst. Zwinglis Maßnahme richtet sich gegen den Priestergesang und den klösterlichen Chordienst. Diese mittelalterliche Praxis könne von dem wahren, inneren, geistigen Gottesdienst ablenken, davon ist Zwingli überzeugt.
In Straßburg dagegen wurden die biblischen Psalmen für den Gemeindegesang entdeckt. Sie wurden neu bereimt und mit eingängigen Melodien versehen. Zwingli starb zu früh, um diese Entwicklung genauer wahrzunehmen und für seine Gottesdienstpraxis aufzunehmen. Trotzdem gibt es im Evangelischen Gesangbuch ein Lied, dass von Zwingli stammt. Zwingli selbst war nämlich hochmusikalisch. Er komponierte für den Hausgebrauch und beherrschte bis zu zwölf Instrumente. Dieses Lied aus dem Ev. Gesangbuch trägt den Titel »Herr, nun selbst den Wagen halt«. Es entstand etwa 1525. Wir wollen es jetzt mit einer anderen Melodie singen.
Ich bin so frei – Ein Eklat und seine Folgen
Vor 500 ½ Jahren wird Zwingli zum Pfarrer am Zürcher Großmünster berufen. Das ist der Auftakt der Zürcher Reformation, die endgültig Anfang 1523 beschlossen wird. Um ein Haar ist Zwinglis Berufung zu Fall gekommen. Damals machen Gerüchte über seine weit gefächerte Zuneigung zum weiblichen Geschlecht die Runde. Es gibt Berichte über sexuelle Verhältnisse zu Prostituierten, und Zwingli räumt offen ein, dass er sich zwar stets darum bemüht habe, als Priester sexuell enthaltsam zu leben – allerdings erfolglos.
In den spannenden Jahren zwischen 1519 und 1524 bringt Zwingli Ordnung in sein Leben – und tut etwas Ungeheuerliches: Er lebt seit 1522 mit Anna Reinhard in geheimer Ehe zusammen und heiratet sie 1524 öffentlich. Das bedeutet nicht nur für ihn, sondern auch für die anderen Pfarrkollegen eine unglaubliche Befreiung. Der Zölibat wird aufgehoben, weil einer – Zwingli – ihn ganz praktisch, rebellisch und entschlossen aufgehoben hat. Zwingli ist so frei, gründet in Zürich die erste evangelische Pfarrfamilie und andere folgen ihm darin.
Auch in anderen Dingen ist Zwingli frei. Auf dem Weg zur Durchsetzung der Reformation macht er die Predigt zu einem entscheidenden Instrument. Durch sie will er einen Wandel im religiösen und kulturellen Selbstverständnis der Bürger Zürichs herbeiführen. Er nimmt sich die Freiheit, die biblischen Schriften in einer fortlaufenden Reihe von Predigten zu erklären. Ein bewusster Bruch mit der Tradition, die andere Vorschriften hatte. Was sich Zwingli davon verspricht? Auf diese Weise will er die großen Zusammenhänge der ganzen Bibel kennenlernen und in der Gemeinde kommunizieren. So predigt er auch über unbekannte Texte und macht auf den Reichtum der Bibel aufmerksam. Manchmal wünsche ich mir, dass heute mehr von dieser Freiheit Zwinglis in unseren Kirchen stattfindet.
Ich bin so frei: Das könnte auch die Überschrift über Zwingli im Frühjahr 1522 sein. In Zürich kommt es zu einem großen Eklat. Es geht um die traditionellen kirchlichen Gebote und besonders um das Fastengebot. Mitten in der Fastenzeit findet im Haus des Buchdruckers Christoph Froschauer ein Wurstessen statt. Wäre das in Dortmund geschehen, hätten sie dort Currywurst mit Pommes gereicht und dazu ein Dortmunder Bier – „Männer wie wir, Dortmunder Bier“.
In Zürich werden die in der Fastenzeit von der Kirche verbotenen Würste unter den Bürgern und Angestellten des Druckers verteilt. Ein riesiger Aufschrei der konservativen Kräfte war die Folge: Wie könnt ihr nur die kirchlichen Gebote übertreten! Ihr begeht Sünde gegen Gott! Er wird euch dafür bestrafen! Ich stelle mir vor, dass mit heutigen Möglichkeiten damals junge Youtuber durch die Froschaugasse gelaufen wären und tolle Clips hergestellt hätten.
Zwingli ist live dabei, sieht sich das an und nimmt sich die Freiheit, über diesen Eklat zu predigen. „Von der Wahl und der Freiheit der Speisen“ nennt er seine Predigt. Und macht in ihr klar: [Keinerlei Speise macht, dass wir Gott wohlgefällig sind.“ Weder das Essen von Wüsten in der Fastenzeit noch der Verzicht auf sie bringen uns bei Gott Punkte. Was wir essen oder worauf wir verzichten, ist Gott letztlich egal. Ob mit Fleisch oder vegetarisch oder vegan: Das ist eine Frage der Lebenseinstellung und sollte nicht religiös überhöht werden. Was übrigens auch heute zu denken geben könnte!
Frei sein, was das Essen betrifft, heißt für Zwingli: Christen sollen auf Gott vertrauen. Das reicht. Seine Gebote, sein Wille zählen, und nicht leblose kirchliche Vorschriften. Diese wollen den Menschen etwas diktieren, was sich nicht auf Gottes Willen berufen kann. Niemand soll meinen, Gott wolle das Fasten, und so sein Gewissen belasten. Eine solche Vorstellung ist Götzendienst. Und ganz entspannt sagt Zwingli dann: „Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass den Christen die freie Wahl!“ Was das Essen betrifft, leben Christen à la carte und lassen sich nichts vorschreiben. An anderer Stelle sagt Zwingli das so: „So wenig nun die Korinther und die Appenzeller einer ganzen Christenheit Gebote und Verbote auferlegen können, so wenig kann die päpstliche Kirche anderen Menschen Vorschriften und Gebote aufhalsen.“
Dahinter steckt mehr als nur eine Ernährungsfrage. Zwingli ist so frei, um den Zürchern zu sagen: Ihr seid von willkürlich aufgestellten Ordnungen entlastet. Ihr müsst ihnen nicht gehorchen. Und manchmal dürft ihr es noch nicht mal! Zwingli wirft nämlich auch die Autoritätsfrage auf: Wem sind Christen Gehorsam schuldig? Seine Antwort: Einen letzten Anspruch auf Gehorsam dürfen nicht Menschen, sondern kann nur Gott beanspruchen, weil er unser Vertrauen verdient.
Hier sind wir mitten in der Gegenwart: Wer verdient unser Vertrauen und unseren Gehorsam? Sicherlich nicht Menschen oder politische Kräfte, die mit ihren Parolen den Boden für Hass, Unfrieden und Unmenschlichkeit bereiten. Vielmehr gilt es auf die zu achten, die sich für Menschlichkeit, Menschenwürde und Solidarität mit Menschen in Not einsetzen. Mit Worten und Taten, frei, mutig und ohne Scheu. Christen und die Kirchen verdanken Zwingli ein ideologiekritisches Bewusstsein gegenüber solchen Ideen und Ansprüchen, die Macht über das Innerste ausüben wollen. Von den Influencern bis zu den Demagogen. Wer wie Zwingli frei ist, der dient auch der Liebe und sucht nach dem Bestem für die Menschen.
Gemeinsam Kirche bauen – Änderungen und Aufbrüche
Zwingli hat einige Jahre lang im Sinne der Reformation gepredigt und mit dem Wurstessen in der Fastenzeit ein deutliches Signal gesetzt: Nicht die kirchliche Überlieferung, sondern das Wort Gottes soll fortan für das Leben der Kirche maßgebend sein.
Worte und Würste machen aber noch keine Reformation. Stattdessen wachsen Gegner heran, die Zwingli mit Handgreiflichkeiten und Morddrohungen zusetzten. Der Zürcher Rat muss für die Sicherheit seines Predigers sorgen. Zu den Worten und dem Wurstessen muss etwas anderes hinzukommen, etwas, das bei den Zürchern ›Klick‹ macht. Ein Erlebnis, das den Zürchern vor Augen führt, was Reformation für sie bedeutet. Dass die Reformation kein ›Pastorengezänk‹ ist, sondern die Gemeinde in ihrem Selbstverständnis trifft. Und das kann Zwingli nur an einem zentralen Punkt der Frömmigkeit zeigen.
Genau wie Luther kritisiert Zwingli die römische Messfeier: Dass am Altar erneut geopfert, Brot und Wein gewandelt und der Kelch nicht an die Gläubigen ausgeteilt wird – dafür sehen beide keine Begründung in der Schrift. Doch Zwinglis Kritik geht weit darüber hinaus. Es reicht nicht, einzelne Elemente der Messfeier abzuschaffen. Für Zwingli geht es darum, das Abendmahl neu zu ergründen. Er verfasst eine entsprechende Reformschrift und versucht, den Zürcher Rat zur Abschaffung der Messfeier zu bewegen. Zu Beginn der Karwoche 1525 beschließt dies der Stadtrat dann auch mit knapper Mehrheit.
Doch die Argumente seiner Gegner setzen Zwingli schwer zu. Vor allem das Verständnis der Einsetzungsworte ist umstritten »Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird«, heißt es zu Beginn des Abendmahls. Die Verfechter der römischen Messe sehen darin klar erwiesen, dass mit der geweihten Hostie der gewandelte Leib Christi selbst an die Gläubigen ausgeteilt würde. Für Zwingli aber befindet sich der Auferstandene seit der Himmelfahrt zur Rechten Gottes und kann somit seiner menschlichen Natur nach nicht im Brot sein. Seiner göttlichen Natur nach schon, aber nicht seiner menschlichen Natur nach.
»Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedächtnis.« Zwingli versteht diese Worte anders – entgegen einer jahrhundertelangen Auslegungstradition. Seine Gegner brandmarken ihn deshalb als gefährlichen Ketzer. Zwingli macht das sehr zu schaffen. Die Auseinandersetzungen verfolgen ihn bis in die Träume. Und genau da kommt ihm der entscheidende Impuls. Im Traum verweist ihn eine mysteriöse Gestalt auf das Passamahl in Ägypten. Man müsse das Abendmahl vom Passamahl her verstehen. Als ein Erinnerungs- und Gemeinschaftsmahl mitten in der Bedrohung. Zwingli wacht aus dem Traum auf und ist befreit. Hören wir ihn selbst:
»Sobald mir diese Erscheinung geworden war, erwachte ich zugleich und springe aus dem Bett. Ich betrachte die Bibelstelle in der griechischen Übersetzung zuerst von allen Seiten her und rede dann über sie vor der ganzen Gemeinde nach Kräften. Diese Rede – hat allen Nebel zerstreut, sodass in jenen drei Tagen des Herrenmahles, des Rüsttages und der Auferstehung das Passa Christi so sehr gefeiert worden ist, wie ich es selbst bisher nie gesehen habe, und die Zahl derer, welche nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurückschauten, über alle Erwartung klein war.«
Das sollten wir uns nun etwas genauer anschauen, was da Ostern 1525 in Zürich passiert ist, wie sich da die reformierte Variante der Reformation ereignet hat. Es ist da fast alles grundgelegt, was ›reformierte Kirche‹ noch heute ausmacht:
- ein grundlegender Blick in die Bibel
- ein veränderter Kirchenraum
- ein neues Miteinander von Pfarrperson und Gemeinde.
Reformation braucht nicht nur Worte, sondern auch diese eine Erfahrung, die ›Klick‹ macht in den Köpfen: »So ist das also gedacht. Ja, dafür lohnt sich der Streit.« Die Zürcher, die in der Karwoche in das Großmünster kommen, machen genau diese Erfahrung: Klick. Sie kennen den Messgottesdienst und staunen, welche Veränderungen Zwingli und sein Team daran vorgenommen haben:
Der Pfarrer tritt bei der Einsetzung des Abendmahls nicht mehr vor den erhöhten Choraltar und kehrt der Gemeinde auch nicht mehr den Rücken zu. Stattdessen steht er auf der Ebene der Gemeinde, wendet sich ihr zu und redet – statt in lateinischer – in verständlicher deutscher Sprache. Im vorderen Kirchenschiff ist ein Tisch aufgestellt, und darauf befinden sich für alle sichtbar Brot und Wein. Die Abendmahlsgeräte sind aus schlichtem Holz, um den Eindruck von äußerer Prachtentfaltung zu vermeiden. Beim Abendmahlsempfang bleibt die Gemeinde in den Bänken sitzen, wohin ›verordnete Diener‹ Brot und Wein bringen. Vom Brot wird ein Bissen abgebrochen und dann weitergereicht, ebenso der Kelch mit dem Wein. Auf diese Weise wird das Abendmahl, das die mittelalterliche Kirche durch den Priester an die einzelnen Gläubigen austeilte, zu einem Mahl, das die Gemeinde auf einer Ebene miteinander teilt. Denn – so die Überzeugung Zwinglis – durch die Taufe und den Glauben ist die Gemeinde bereits in den Leib Christi eingefügt und wird durch die Teilnahme am Abendmahl dieser Einheit mit Christus versichert.
Die Gemeinde, die bisher Zuschauerin eines ihr unverständlichen gottesdienstlichen Aktes war, wird nun zur Mitakteurin der Abendmahlsfeier. Ihr wird der Leib Christi nicht mehr von oben herab gereicht, sondern sie bildet zusammen mit dem Pfarrer die Gemeinschaft des Leibes Christi. Keine Hierarchie mehr zwischen Pfarrer und Gemeinde. Beide sind auf einer Ebene, sind ›unter dem Wort Gottes versammelte Gemeinde‹. Jeder, der in Zürich an diesem Gottesdienst teilnimmt, spürt, dass hier etwas Wegweisendes geschehen ist.
Achim Detmers und Matthias Freudenberg
Themenpodium 1: Reformierte Inspirationen durch Zwingli