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ICH-BIN-DA
Predigt zu Exodus 3, 1-14
DIE LIEBE GOTTES, DIE GNADE UNSERES HERRN JESUS CHRISTUS UND DIE GEMEINSCHAFT DES HEILIGEN GEISTES SEI MIT UNS ALLEN! AMEN.
Liebe Gemeinde,
ein Pfarrer soll, habe ich mal gelernt, seine Predigt nicht damit beginnen, dass er der Gemeinde erzählt, welche Schwierigkeiten ihm der Text bereitet hat. Aber die Redlichkeit gebietet mir, Ihnen zu sagen, dass ich einen anderen als den vorgeschlagenen Text wählen musste, um dieser Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen. Denn wenn es ein Thema gibt, zu dem mir nichts einfällt, dann ist es die Thematik des letzten Sonntags der Epiphaniaszeit, die Verklärung: Das ist “Religion pur”, und da sträubt sich mir alles, zumindest finde ich keinen positiven Zugang.
Also habe ich mich umgeschaut - und siehe da: Als Auswahltext steht ein Abschnitt aus dem zweiten Buch Mose, Kapitel 3, zur Debatte - die Geschichte von der Berufung des Mose. “Prima!”, dachte ich mir, “das ist ja wunderbar, die nehme ich.” Eine erste Überraschung erlebte ich, als ich in meinem Archiv keine einzige Predigt zu dieser Textstelle fand. In mehr als 30 Jahren pfarramtlichem Dienst hatte ich noch nicht ein Mal über diesen prominenten Text gepredigt? - Dann wird es ja allerhöchste Zeit! Dann die zweite Überraschung: Zwar nicht unter ”Exodus 3, 1-14", sehr wohl aber unter dem thematischen Stichwort “Gottes Name” fand sich mehr als eine Predigt, und die letzte war vom zweiten Advent 2021. Also doch noch einmal umdisponieren?
Nein, ich bleibe jetzt bei dem Abschnitt, den ich gewählt habe. Nur eben bleibe ich wirklich beim Text, so wie er uns erzählerisch dargeboten wird - und dazu lese ich ihn in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
1 Mose war als Hirte für die Herde Jithros, seines Schwiegervaters, des midianitischen Oberpriesters, verantwortlich. Er trieb die Tiere durch die Wüste hindurch, so kam er an den Gottesberg Horeb. 2 Da erschien ihm SEIN Bote in einer Flamme mitten im Dorngebüsch. Er guckte: Der Dornstrauch brannte lichterloh, aber er verbrannte dabei nicht.
3 Mose dachte: »Da muss ich hin; ich will diese unglaubliche Erscheinung sehen! Warum verbrennt denn der Dornstrauch nicht?« 4 DER EWIGE sah, dass Mose herankam um nachzuschauen. Darum rief die Gottheit ihn an, mitten aus dem Dornbusch: »Mose, Mose!« Der erwiderte: »Ja, ich höre!« 5 Gott sagte: »Komm nicht zu nahe heran! Zieh die Sandalen aus, denn der Ort, an dem du stehst, ist heiliger Grund.«
6 Und weiter: »Ich bin die Gottheit deiner Eltern, Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs und ihrer Frauen!«Mose bedeckte sofort sein Gesicht, denn er hatte Angst, die Gottheit anzusehen.
7 DER EWIGE sagte: »Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten sehr wohl bemerkt. Ich habe gehört, wie sie vor ihren Peinigern aufschrien. Ich kenne ihre Schmerzen. 8 Deshalb bin ich heruntergekommen. Ich will sie aus der Gewalt Ägyptens retten, ich will sie aus diesem Staat hier hinausbringen in ein gutes und weites Land, ein Land, das von Milch und Honig trieft, an einen Ort, wo kanaanäische, hetitische, amoritische, perisitische, hiwitische und jebusitische Stämme wohnen. 9 Jetzt pass auf: Das Geschrei der Israeliten und Israelitinnen ist zu mir gedrungen. Ich habe auch gemerkt, wie sehr Ägypten sie geschunden hat. 10 Aber jetzt ist Schluss. Auf, ich schicke dich zu Pharao; du wirst mein Volk Israel aus Ägypten hinausführen.«
11 Mose antwortete Gott: »Wer bin ich denn, dass ich so einfach zu Pharao gehen könnte? Und dass ich mir nichts dir nichts die Israelitinnen und Israeliten aus Ägypten hinausbringen könnte?«
12 Gott sagte: »Ich stehe dir doch zur Seite! Dies soll dir das Zeichen dafür sein, daß ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten hinausgebracht hast, werdet ihr mich auf diesem Berg hier verehren.«
13 Mose sagte zu Gott: »Wenn ich aber zur Gemeinde Israel zurückkomme und ihnen sage: ›Die Gottheit eurer Vorfahren hat mich zu euch geschickt‹, dann werden sie fragen: ›Wie heißt sie?‹ Was soll ich ihnen da antworten?«
14 Gott erwiderte Mose: »Ich bin da, weil ich da bin!« Er sagte: »Das sollst du den Israeliten mitteilen: ICH-BIN-DA hat mich zu euch geschickt.«
Liebe Gemeinde, tragisch, und dennoch irgendwie komisch ist die Geschichte des Schriftstellers Ödön von Horváth, der, abergläubisch, wie er war, nicht zu seinen Freunden ins Auto steigen wollte, weil das Horoskop ihm einen Unfall prophezeit hatte. Als Fußgänger wurde er von einem Ast erschlagen und starb.
Ich wollte einem visuellen Widerfahrnis aus dem Weg gehen, wie wir es in der Evangeliumslesung präsentiert bekamen. Aber wenn ich unseren Text ernst nehme, muss ich zur Kenntnis nehmen, dass auch dieser mit einer optischen Ausnahmeerscheinung beginnt - ich komme nicht umhin, von einem Wunder zu sprechen: Dass ein Dornbusch brennt, ohne zu verbrennen, ist rational-naturwissenschaftlich nicht zu erklären.
Aber das ist sowohl für Mose als auch für uns nur der Eye-Catcher, wie man heute sagt: Das seltsame Phänomen zieht Aufmerksamkeit auf sich. Aber es bleibt nicht bei einer staunenswerten Erscheinung: Sobald Mose nähergetreten ist, erklingt - wie übrigens auch in unserem Evangeliumstext - eine Stimme, genauer: GOTTES Stimme. Und auf diese Stimme, besser gesagt: auf das, was nun gesagt wird, kommt es an - hier wie dort.
Es folgt, was wir schon oft gehört haben, vielleicht zu oft - jedenfalls derart häufig, dass wir gar nicht mehr richtig hinhören. Wir wissen ja, was kommt. Vermeintlich: Gott hat beschlossen, das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten zu befreien, und er hat Mose dazu ausersehen, dem Pharao gegenüberzutreten und das Volk in die Freiheit zu führen.
Alles richtig. Und doch sind da noch mehr Töne zu hören als nur das Ergebnis wahrzunehmen: Da ist zum Beispiel eine umfangreiche Aufzählung verschiedener Völker, die uns üblicherweise nicht interessiert, wo wir am liebsten beim Vortrag sozusagen vorspulen möchten, weil uns Hewiter, Jebusiter (und wie sie alle heißen) eigentlich nichts sagen und wir uns gar nicht vorstellen können, dass sie - wenn überhaupt mit Israel - mit uns irgend etwas zu tun haben könnten.
Es ist nichts anderes als eine kleine Vorschau auf das, was das Volk Israel auf seinem Weg ins Gelobte Land an Konflikten und Krisen bevorsteht, ehe sie nach sage und schreibe vierzig Jahren - also mehr als die Lebenserwartung damals - im Land der Freiheit ankommen werden, freilich nicht bejubelt von dessen Einwohnern, sondern dieses in Kriegen einnehmend.
Da ist gegen Ende unseres Abschnittes ein doppelter Wortwechsel zwischen Gott und Mose, der mit den berühmten Worten endet: ICH-BIN-DA hat mich zu euch geschickt. Darüber wurde viel spekuliert und auch angemessen theologisch nachgedacht. Ich will hier nicht wiederholen, was erst vor kurzem unser Thema war, sondern auf das Hin und Her der Argumente eingehen, das davor wiedergegeben wird. Gottes erste Zusicherung auf Moses Frage, was er denn dem Volk antworten solle, wenn sie wissen wollen, in wessen Auftrag er redet und handelt, lautet: Wenn du das Volk aus Ägypten hinausgebracht hast, werdet ihr mich auf diesem Berg hier verehren.
Was, bitteschön, ist denn das für ein Argument?!
Es wird denen, die uns das Buch Exodus und die gesamte Thora überliefert haben, nicht aufgefallen sein, aber: Diesen “Beweis” kann überhaupt nur als solchen gelten lassen, wer den Fortgang der Geschichte bereits kennt und also weiß, dass die Israeliten nach dem Zug durch das Schilfmeer tatsächlich am Fuße des Horeb anlangen, den Mose besteigt, um die Zehn Gebote in Empfang zu nehmen.
Aber wenn Mose auf die verängstigten und skeptischen Landsleute zugeht, um sie zum Aufbruch aus Ägypten zu ermutigen - wer sich wird dann überzeugen lassen mit der Aussicht darauf, daß das Volk seinem Gott jenseits des Meeres am Fuße eines Berges Opfer bringen wird? Das ist ja geradezu so, als ob jemand, dem ich von meinem letzten Urlaub auf den Kapverden vorgeschwärmt habe, wissen möchte, ob es sich für ihn tatsächlich lohnte, auch einmal dorthin zu reisen, obwohl er Angst vor dem Fliegen hat und sonst noch viele gute Gründe weiß, die ihn davon Abstand nehmen lassen, ein solches Unternehmen in die Tat umzusetzen - und ich begegne seinen Vorbehalten mit dem Satz: “Du wirst begeistert sein, wenn du von der Terrasse hinunter schaust auf das im Sonnenschein glitzernde Meer.”
Ja, wenn er erst einmal wirklich dort sein wird, wo ich war - da bin ich mir sicher -, wird er wahrscheinlich begeistert sein von so viel Schönem. Aber als Argument taugt eine solche Aussage nur dann, wenn vorher schon Vertrauen da ist in denjenigen, der so spricht - es sei denn, es handelt sich gar nicht um eine Vorausschau, sondern auf einen Blick zurück auf längst Geschehenes, wie das hier wohl der Fall war.
Lassen sie mich zum Schluss auf den bekannt-allzu bekannten Mittelteil unseres Textes zu sprechen kommen, liebe Geschwister!
DER EWIGE sagte: »Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten sehr wohl bemerkt. Ich habe gehört, wie sie vor ihren Peinigern aufschrien. Ich kenne ihre Schmerzen. Deshalb bin ich heruntergekommen.
Am Dienstag ging es im Konfirmandenunterricht um Jesus, genauer: um den Juden Jesus. Wir wollten hören, was die Konfis von ihm zu sagen wussten zwischen Geburt und Tod. Ein Stichwort - und das wird gern auch in Bezug auf Gott genannt - lautete: “Er behandelt alle Menschen gleich.” Ich denke, das kommt vom Kindergottesdienst. Laut gesagt habe ich nur einen Zwischenruf, und zwar: “Das halte ich für ein Gerücht.” Aber zufrieden bin ich damit nicht.
Leider hatten wir keine Zeit, näher darauf einzugehen - aber ein Satz wie der eben zitierte sagt es doch in der wünschenswerten Deutlichkeit: Gott sieht, Gott hört und Gott reagiert. Er sieht das Elend seines Volkes, er hört das Schreien der Geschundenen - und schreitet ein: Er rettet die Sklaven aus der Hand ihrer Unterdrücker.
Das ist die Ur-Aussage der Bibel: Gott nimmt Partei - für die Schwachen und gegen die Starken. Und das bleibt die Aussage der Bibel, auch wenn mein Blick in den Rückspiegel mir den mit einem leichten Seufzen lächelnden Übervater Karl Barth zeigt, der ja recht hat, wenn er sagt, tatsächlich behandelt Gott uns wirklich alle gleich. Denn alle, so Paulus, entbehren des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten. Alle haben gesündigt, alle haben das schärfste, nämlich das Todesurteil, verdient. Und für alle Menschen hat Christus dieses Urteil auf sich genommen. Wir sind frei.
Das ist wahr und das bleibt wahr. Nur ist die andere Beobachtung deswegen ja nicht gleich von der Hand zu weisen: Es gibt das Volk des Bundes, und es gibt die anderen. Die einen sind nicht besser als die anderen, wohl aber sind sie besser dran als jene.
Das mag man ungerecht finden, ebenso wie ich es schwer erträglich finde, dass Menschen leiden müssen, weil eine Plage nicht reicht, um Pharao umzustimmen, weil Gott beschlossen hatte, dessen Herz zu verhärten. Es langten ja nicht einmal zehn Plagen. Menschenblut ist geflossen, und selbst das hat nicht genügt für ein friedliches Ende, das für die Israeliten darin bestand, das andere Ufer des Schilfmeeres trockenen Fußes zu erreichen, während die Verfolger darin ersoffen sind.
Es gibt kein “happy end” für die Ägypter- Und ebensowenig konnte es ein gutes Ende geben für jene, die das europäische Judentum auszurotten beschlossen hatten. Gott lässt das nicht zu. Gott hört das Schreien, sieht das Unrecht, stellt sich an die Seite seiner Leute.
Manchmal unerträglich spät, unerträglich schwach - so wie am Kreuz. Dass dies nicht sein letztes Wort ist an uns, an die Welt: Wir wissen es nicht, wir glauben es aber und - hoffen. AMEN.
Stephan Schaar