'Trotz Gott an Gott glauben'

Predigt und Diskussion zum Buch von Okko Herlyn: Das Apostolische Glaubensbekenntnis


© Pixabay

Von Stephan Schaar

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! AMEN.

Liebe Gemeinde,

Sie kennen das vermutlich aus der “Sodastream”-Werbung:

Ein Kind prahlt: “Mein Papa kann zwölf Flaschen Wasser auf einmal tragen.” Ein zweites Kind kontert: “Mein Papa kann 24 Flaschen Wasser tragen.” - Und man sieht einen Mann ächzend ein Treppenhaus hochsteigen mit mehreren Plastik-Sixpacks, die schon fast unter dem eigenen Gewicht reißen. Da fragt lächelnd ein drittes Kind: “Warum müssen eure Papas Wasser schleppen?” - und die Werbung empfiehlt die Anschaffung eines Gerätes zur  Aufbereitung von Leitungswasser.

Mit derselben Logik beginnt das Kapitel über die Allmacht Gottes in Okko Herlyns Buch über das Apostolische Glaubensbekenntnis, um in die Frage überzuleiten, ob denn die Rede von der Allmacht Gottes nicht eigentlich ein Ausdruck jenes Wunsches sei - den man bei Dreijährigen prächtig studieren kann -, von einem übermächtigen Vater gegen eine Welt voller unbekannter Gefahren verteidigt zu werden.

Herlyn gibt den Kindern und ihrem naiven Glauben Recht gegen die Abgeklärtheit Erwachsener, deren Illusionen längst einer nüchternen Welterklärung gewichen sind, die darum weiß, dass es unter Menschen manch staunenswertes Können gibt, aber keine Allmacht. Doch was ist nun mit Gott? Er lehnt ein rein mit den Widersprüchen der Logik spielendes Philosophieren ab, das man ebenso gut auf die Frage der Allwissenheit beziehen kann, um etwa zu postulieren, Gott müsse in der Lage sein, ein Rätsel zu ersinnen, dessen Lösung er selbst nicht weiß...

Nein, das führt zu nichts!
Was aber dann tun?

Wie immer befragt Herlyn die Bibel, und wie immer findet er dort auch Antworten.
Allerdings fallen sie auf dem Gebiet der Allmacht deutlich bescheidener aus als bei anderen Fragen, mit denen wir schon zu tun bekamen.
Das liegt teilweise an dem Problem, dass in der Bibel zwar die “großen Taten Gottes” gepriesen werden, diese sich aber irgendwann vor langer Zeit ereignet haben und auf uns mitunter den Eindruck von Mythen und Märchen machen.

Wer war denn Augenzeuge beim Auszug der Israeliten aus Ägypten? Wir haben nur das schriftliche Zeugnis von Menschen, die ihrerseits überliefert haben, was man ihnen über Generationen hinweg am Lagerfeuer erzählt hatte.

Bezeichnenderweise verzichtet Herlyn darauf, die Wundergeschichten Alten und Neuen Testaments zu bemühen; denn auch dort geht es ja nicht um Mitschriften staunender Zeitzeug:innen, sondern um Geschichten in bildhafter Sprache, bei denen vor lauter Begeisterung gern auch mal Zahlen multipliziert werden - wenn es darum geht, wie viele Feinde in die Flucht geschlagen werden konnten oder wie viele Hundertschaften vor dem Verderben gerettet worden sind.

Wenn Jesus Brot an 5000 Menschen austeilen lässt und diese satt werden - ein wunderbares Zeichen für die Macht Gottes, die mit ihm ist -, dann höre ich jedoch ganz deutlich heraus: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein”, sondern von Gottes Wort, wie es in der Thora verdichtet ist, fünf Bücher Mose und zwei Tafeln des Gesetzes, symbolisiert in fünf Broten und zwei Fischen.

Und der da übers Wasser geht, trotzt womöglich nicht wirklich den Naturgesetzen, sondern besiegt in Wahrheit den Zweifel, der Gott nichts zutraut und deshalb sich selbst auch kaum etwas, und er geht, wo kein Weg ist - im Blick auf Jesus gelingt das Petrus, bis er an sich herabsieht und in den Fluten versinkt.

Gut, das Kapitel “Wundergeschichten” ist bewusst umschifft worden bei der Frage nach der Allmacht Gottes.
Es geht nicht darum, Gott zu bestaunen, der da Dinge vermag, die uns nicht möglich sind zu tun; sondern es geht darum, sich - wie Herlyn formuliert - “Gott in die Arme zu werfen”.

Denn von Gottes Macht spricht die Bibel durchaus auch und nicht nur von “großen Taten”, die uns womöglich Ehrfurcht einflößen.
Sogar der Begriff “Allmacht” begegnet in der Heiligen Schrift - sympathischerweise im Zusammenhang mit einem Segenswort: “Der allmächtige Gott segne dich und mache dich fruchtbar und mehre dich”, gibt Isaak seinem Sohn Jakob mit auf den weiteren Lebensweg. Ja, Gott wird etwas zugetraut. Ob es nun gleich “alles” ist - kommt es darauf an? Und wer wollte überhaupt beurteilen, was denn eigentlich “alles” ist?!

Jedenfalls wissen die Psalmbeter Gottes Macht zu loben, beispielsweise, ihnen in der Not und aus der Not heraus geholfen zu haben. Freilich korrespondiert das mit der Klage in der Not, die noch kein Ende fand, wo denn nun Gottes Hilfe bleibe, oder ob er gar machtlos zusehen muss, wie Unrecht geschieht. Vielleicht ist das ja gewollt?

Zumindest stellt Jesus bei der Verhaftung im Garten Gethsemane klar, dass er keinen Zweifel daran hegt, dass Gott ihm hilfreich beispringen könnte - wenn er nur wollte. Zu dem Jünger, der ihn mit Waffengewalt verteidigen möchte, sagt er jedenfalls: “Stecke dein Schwert weg ... oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten und er würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken?” Das sind Fragen, auf die wir so gern Antworten hätten, nicht wahr, liebe Gemeinde? Und doch bekommen wir nur Gegenfragen...

Gleichwohl hält der Heidelberger Katechismus an prominenter Stelle, nämlich in Frage und Antwort 1, fest, dass, wer auf Gott seine Hoffnung setzt (“der einzige Trost”), sich in den Händen dessen befindet, “ohne dessen Willen kein Haar von meinem Haupt fallen kann.”

Gleichwohl leiden Menschen, die so glauben und vertrauen - sicher auch unter den orthodoxen Christen in der Ukraine, die jetzt unter Beschuss und Bombenhagel liegen, ebenso  auch die orthodoxen russischen Soldaten, denen man etwas von Terrorismusbekämpfung erzählt hat, die nun aber die wehrlose Zivilbevölkerung angreifen, um eine Regierung zu stürzen, und gleichfalls die Angehörigen der ukrainischen Militärs, die ins Ausland fliehen konnten und nun um ihre Männer, Väter, Brüder bangen, sowie die Mütter der gefallenen Soldaten in Russland, wo inzwischen nicht nur das Geld knapp geworden ist, sondern auch der Zorn auf Putin ebenso groß wie die Ohnmacht gegenüber dem Despoten...

Hiob, der mustergültige Fromme des Alten Testaments, wird - so ist er überzeugt - aus heiterem Himmel und ohne eigenes Zutun in vielfaches Leid gestürzt, und er grollt einem Gott, der ihm, dem treuen Diener, dies angetan hat: “Warum, Gott, warum?!” Aß Gott die Guten belohnt und die Bösen bestraft - so seine Freunde -, hält er für reines Wunschdenken. Die Wirklichkeit zeigt sich anders, auch uns: Da sterben unschuldige Kinder an Krebs, oder sie werden von einem Auto überfahren, und Kinderschänder werden alt und fett, Tyrannen legen sich, von Leibwächtern behütet, ins Bett und schlafen friedlich ein.

In unserer Diskussionsrunde am 23. Februar einigten wir uns darauf, Gott “allzuständig” zu wissen - es gibt nur diesen einen Herrn im Himmel und auf Erden. Aber das ist noch nicht dasselbe wie “allmächtig”. Womöglich, so eine Erwägung Herlyns, ist die Rede von der Allmacht Gottes zu einem guten Teil pädagogisch motiviert und zielt darauf ab, uns zu schützen vor der Vorstellung, dass Menschen allmächtig sein könnten - so furchterregend überlegen sie eine Zeit lang auch sein mögen.

Trotz Gott an Gott glauben, in der eigenen Ohnmacht Gottes Macht bekennen gegen jene, die Gottes gute Ordnung mit Füßen treten, auch gegen die Verzweiflung, die einen packen kann, wenn man mit ansieht oder gar mit erleidet, dass die Gottlosen wüten und töten.

Es ist menschlicherseits mehr als nachvollziehbar, wenn Jüdinnen und Juden (aber auch Christenmenschen) sich in Anbetracht der Shoa von Gott abgewandt haben, ihren Glauben verloren - eben weil da nichts von Allmacht oder wenigstens wahrnehmbarer Gegenmacht zu merken war.
Und doch haben nicht alle Frommen Gott den Rücken gekehrt, mitunter mit nichts anderem als Begründung als dem Hinweis darauf, dass sie die Vernichtung überlebt hatten. Und schon der - nicht eben als fromm bekannte - “Alte Fritz” wurde mit dem “Wunder des Glaubens” konfrontiert, als er einen seiner Generale bat, ihm einen, wenigstens einen einzigen Gottesbeweis zu liefern und dieser entgegnete: “Majestät, die Juden.”

Der nicht einmal jüdische Hiob bekommt nach vielem Leid und unzähligen Streitgesprächen mit seinen Freunden, aber auch mit Gott, am Ende nicht nur doppelt zurück, was er verloren hatte, und außerdem von Gott recht gegen seine Freunde. Er kommt schließlich auch zu der Erkenntnis, dass es ihm, dem Menschen, nicht zukommt, Gottes Tun zu beurteilen; zu unterschiedlich sind des Menschen Möglichkeiten und Gottes Macht.
Diese Macht, liebe Gemeinde, gipfelt in dem, was Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther so formuliert hat: “Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?”

Allein: Dies ist keine Feststellung von Tatsachen, sondern ein Bekenntnis christlichen Glaubens, und - wer’s glaubt, wird selig.

Amen.


Stephan Schaar