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Was sagt uns das Metall? - Zinn
Vom Pilgerzeichen zum Zinnsoldaten
Zinn, dieses silberweiße, glänzende, weiche Schwermetall, nennt die Bibel in einer Reihe mit Gold und Silber, Bronze, Eisen und Blei. Ein Beispiel dafür ist die Reinigungsvorschrift für Soldaten, die in den Krieg ziehen: „Gold und Silber, Bronze, Eisen, Zinn und Blei, alles, was Feuer verträgt, sollt ihr durchs Feuer gehen lassen, dann ist es rein.“ (4. Mose 31,22f)
In einer Aufzählung mit anderen Metallen genannt zu werden, ist die höchste Ehre, die dem Zinn der Bibel zuteilwird. Kein Gleichnis nennt es als Sinnbild, kein Spruch nutzt es als Metapher. Wer den Symbolwert des Zinns sucht, muss in weltlicher Poesie suchen. Bei Christian Morgenstern (1871 – 1914), dem für seine Sprachkomik, dem „Spiel - und Ernst=Zeug“ berühmten Dichter, wird der Leser fündig. Dem sonnig scheinenden Gold der Wahrheit stellt Morgenstern den Schatten des minderen Zinns gegenüber:
„Es gehört mit zum Seltsamsten, was es gibt: Das pure lautere Gold liegt vor uns, um uns. Aber wir leben mit Blei, Kupfer, Zinn; von Minderem zu schweigen. Wir haben die Wahrheit wie die Sonne über uns und folgen Schatten und Gespenstern.“
Religionsgeschichtliche Bedeutung
Fällt das Stichwort „Zinn“, bleibt die Assoziation „Zinnsoldat“ nicht aus. Damit fällt ein weiterer Schatten über das helle Metall: Ein klassisches Kriegsspielzeug hat in friedensbewegten theologisch-reformierten Familien ganz bestimmt keinen Ehrenplatz.
Wer jedoch tiefer gräbt in der Geschichte der Metallverarbeitung bringt ein Kleinod der Religionsgeschichte zum Vorschein. Den Zinnsoldaten voran gingen andere Figuren, die als „Lernspielzeug“ Kindern die „große weite Welt“ näherbringen sollten. Die pädagogisch wertvollen Figuren ihrerseits hatten religionsgeschichtlich bedeutsame Vorgänger: die Pilgerzeichen. Zinn-Blei-Legierungen in Form von kleinen Plaketten, Medaillen oder Figuren waren die preiswerten Souvenirs, die Pilger im Mittelalter an den großen Wallfahrtsstätten kauften. An Hüten oder Kleidungsstücken angebracht erinnern sie an Stationen und Ziele auf dem Weg.
Die nächste Station auf dem religionsgeschichtlichen Weg des hellen Metalls war der Weihnachtsbaumschmuck. Das golden oder silbern glänzende Lametta wurde zunächst aus Stanniol verfertigt. Dieses zu dünner Folie gewalzte Weißblech ist mit Zinn beschichteter Stahl. Der Beitrag des Zinns zum Lametta währte jedoch nicht lang. Im 20. Jahrhundert verdrängte das preiswerte Aluminium das traditionelle Zinn.
Weisheit des Zinns
Pilgerplaketten und Lametta, beides lässt als „Weg zu Gott“ oder feierlicher Kitsch klassisch reformierte Herzen wohl kaum höherschlagen. Die goldene Wahrheit jedoch liegt im Unscheinbar-Verborgenen.
Zinn ist ein Metall, das seine Wirkung erst in der Legierung entfaltet. Die berühmte Bronze ist eine Kupfer-Zinn-Legierung, Figuren und Anstecknadel wurden aus einer Blei-Zinn-Legierung gegossen. In der Legierung steckt Theologie und Ethik. Das lateinische ligare = verbinden, zusammenbinden verbirgt eine Weise des „Bundes“. Ein Metall wird mit einem anderen verbunden, um etwas Neues zu schaffen. Zinn lehrt uns: Gemeinsam sind wir stärker.
Barbara Schenck, 27. September 2016
Kleine Texte zu sieben Dingen einer Art: I. Metalle