Das Glück des Glaubens strahlt und klingt

Predigt zu Philipper 2, 12 – 13

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Die Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Pfarrerin Petra Bosse-Huber, predigte im Reformationstagsgottesdienst in der Evangelischen Kirche an der Freiheitstraße in Mettmann.

Friede sei mit euch!

Liebe Gemeinde,

am Rande des Finanzausschusses unserer Evangelischen Kirche im Rheinland erzählte man sich in diesen Tagen einen Witz: „Betreten zwei gut gekleidete Herren zwei Banken. Der eine Herr betritt ein Geldinstitut, der andere eine Spielbank. Stunden später verlassen die beiden ihre Gebäude wieder. Der eine Besucher stürzt völlig aufgelöst und fassungslos auf die Straße. Mit hochrotem Kopf, zitternd und mit abgerissenem Hemdkragen wankt er aus der Spielbank. Da hält ihn der Banker auf der Straße am Ärmel fest und rät ihm: „Merke Dir eines, Kumpel, zocke nie mit eigenem Geld!“

Liebe Gemeinde, dieser bittere Witz hält fest, was in diesen Tagen auch die besorgten Herzen vieler Menschen hier in Mettmann beschwert. Fragt man am Reformationstag 2008 danach, was die Welt im Innersten zusammenhält oder genauer, was sie bis in ihre Grundfesten hinein zu erschüttern vermag, so liegt die Antwort auf der Hand: Keine Zeitungsschlagzeile, keine Fernseh- oder Radiosendung ohne die bittere Beschwörungsformel „Money makes the world go round“. Das führt uns die Krise der weltweiten Immobilien- und Finanzmärkte noch einmal eindrücklich vor Augen. Ja, Geld regiert die Welt und wehe, wenn es fehlt. Wer mit wenig oder gar mit zu wenig Einkommen auskommen muss, der weiß welch gnadenloser Diktator die Armut sein kann. Gerade in unseren christlichen Gemeinden erfahren wir: Die Zahl der Menschen, auch von Kindern und Jugendlichen wächst, die dieser bitteren Diktatur unterworfen sind.

Keine Angst, liebe Gemeinde, ich werde mich jetzt nicht mit erhobenem Zeigefinger in die Reihe der moralisch Entrüsteten dieser Tage einreihen und den globalen Tanz um das goldene Kalb anprangern. Nein, wir können nur nüchtern feststellen, dass wir weltweit alle in einem Boot sitzen: „Die Party auf der Titanic ist vorbei, die Frage welchen Kurs der Dampfer jetzt aufnimmt, aber völlig offen.“ (FAZ 19.10.2008)

Manchmal schauen heutige Menschen mit einem gewissen Dünkel und Hochmut auf die Zeit des Mittelalters zurück. Etwas mitleidig wird dann vielleicht zum Reformationsfest angemerkt, dass zu Luthers Zeiten die Menschen gemeint hätten, sie könnten sich mit Hilfe von Geld die Seligkeit erkaufen. Zu nichts anderem diente ja der globale Handel der kirchlich Mächtigen mit den Ablassbriefen: Sich selbst oder den nächsten Familienangehörigen die Zeit der Läuterung im Fegefeuer zumindest zu verkürzen, vielleicht auch ganz zu ersparen, um dann stattdessen sofort ins Himmelreich eingelassen zu werden. Ein florierendes Geschäft mit dem Jenseits war es, das Luthers leidenschaftlichen Protest auslöste, und das dann den Stein der Reformation ins Rollen brachte. Finsteres Mittelalter, so scheint es für mich, aber nur auf den ersten Blick.

Denn was ist mit uns Heutigen? Sind die tönernen Annahmen auf die wir unsere heutigen Welten gründen so viel weniger aberwitzig? Ist es irgendwie vernünftiger, wie wir denken und reden? Wie wir ökologisch oder sozial handeln? In welchen Kategorien wir unser Leben, unsere Beziehungen, unser Land, unsere Welt, ja, auch unsere Kirche gestalten? „Es rechnet sich nicht...“ heißt es dann. „Es bringt mir nichts. Das zahlt sich nicht aus...“ sagen wir und unsere Sprache verrät uns. Sie hält uns einen unbestechlichen und ehrlichen Spiegel vor: Unzählige Bilanzen, nicht nur an den großen Börsen dieser Welt werden tagtäglich aufgemacht. Rechnung und Gegenrechnung, Kosten-Nutzen-Analysen werden als Lebensmaßstäbe angelegt, bis hinein in das Familienleben, ja in die Intimsphäre zwischen zwei Liebenden. Können wir uns Kinder denn überhaupt noch leisten, heißt es dann, sind alte Menschen nicht viel zu teuer, wenn sie immer älter werden? Was kosten eine Gesellschaft kranke oder behinderte Menschen? Die einzige mächtige heimliche Leitwährung bei einer Vielzahl gesellschaftlicher und manchmal auch kirchlicher Diskussionen und Entscheidungen scheint das Geld zu sein.

Ist dieser Rechenschieber im Kopf, der uns aufgeklärten modernen Menschen der Neuzeit das Glück sichern soll, nicht ähnlich finster und zerstörerisch wie manche der Wege des Mittelalters zur Seligkeit?! Unterscheidet sich der Ablassglaube der Reformation tatsächlich so sehr von dem allmächtigen Aberglauben unserer Tage, man könnte zuletzt über Materielles sein Leben sichern? Ist der Unterschied zwischen den Symbolen Ablassbrief und Aktienpapier tatsächlich so groß? Die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Luthers wussten immerhin noch, dass die Seligkeit auf Erden immer nur eine flüchtige Erfahrung bleibt. Dass wir aber die vollkommene Seligkeit in Gottes Welt finden werden und dass es sich deshalb lohnt, mit Ernst und Energie auf diese Zukunft hin zu leben, sein Heil nicht nur hier auf Erden sondern auch dort im Himmel zu suchen.

Unsere moderne Gesellschaft aber flüstert uns ein, es gebe vollkommenes Glück, ewige Gesundheit und perfekte Schönheit schon hier und jetzt. Ja, es gebe sie sogar nur hier und jetzt. Deshalb hat ja die Parole, Spaß und Befriedigung überall und sofort zu haben, solch einen humorlos tödlichen Ernst. Wer hier irgend etwas auslässt oder verpasst, hat für immer und ewig alles verpasst. Verführerische, manchmal sogar teuflische Einflüsterungen sind das, denen immer mehr Menschen, häufig auch ganz junge, erliegen, um sich dann selbst, ihre Gesundheit und ihre Lebensmöglichkeiten auf diesem Altar der Eitelkeiten zum Opfer darzubringen.

Ist das nicht Aberglaube? Ein finsterer und lebensfeindlicher Aberglaube unserer eigenen Zeit? Finstere Neuzeit eben? Oder um es theologisch zu sagen: Frönen wir da nicht mehrheitlich einer lebensfeindlichen und menschenfeindlichen Gotteslästerung? „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“ hielt Luther hoch realistisch fest. Gotteslästerung ist das Gegenteil von Gottesfurcht. Wer das erste Gebot bricht stiehlt sich selbst die entscheidenden Lebenschancen.

Dass Geld und Ruhm keine Brücken ins Land des Glücks zu schlagen vermögen, wussten sie vielleicht besser als wir Heutigen: Luther und seine Frau Katharina von Bora, Calvin und Zwingli, oder wie diese Frauen und Männer der Reformation auch geheißen haben. Geld und Ruhm machen nicht automatisch glücklich, sondern häufig süchtig und manchmal auch dumm, diese Lektion lernen wir oft auf sehr schmerzliche Weise. Unüberbietbar hat Jesus diese Lebenseinsicht in der Geschichte vom reichen Kornbauern festgehalten... Geld und Ruhm mit Glück zu verwechseln, das ist, als ob man seinen Durst im Meer stillen wollte, sinnlos und gefährlich.

Aber wenn wir akzeptieren, dass wir über die meist begangenen Brücken unserer Tage den Weg in das Land der Seligen nicht finden werden, wie finden wir dann diese Brücken in ein erfülltes Leben und in eine gerechte Welt? Wie ein schwer lesbarer Wegweiser stehen kurze Paulusworte in der Mitte dieses Reformationsgottesdienstes. Sie markieren das Zentrum, den Ort, von dem aus wir den richtigen Weg finden können. Ich lese Ihnen diese wegweisenden Worte das Paulus aus Philipper 2, 12 – 13:

„Also, meine Lieben, - wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, - schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“

Von Furcht und Zittern spricht Paulus hier und meint damit überraschenderweise doch das Gegenteil von Angst und Schrecken. Unsere Gesellschaft ist momentan durchtränkt von Angst. Der „Spiegel“ kam in einer seiner letzten Ausgaben mit einem tiefschwarzen Titelblatt daher, darauf waren die zittrig aufgemachten Worte zu lesen: „Die Angst vor der Angst“. Immer mehr Menschen bekommen es mit der Angst zu tun vor Krankheit und Alter, vor Arbeitslosigkeit und Armut. Auch in unsere Gemeinden und Kirchen sickert diese Angst seit langem ein: Die Angst ärmer und ärmer zu werden, die Angst davor, im Rückzug begriffen zu sein, ja manchmal sogar die Angst vor anderen selbstbewussten Religionen wie dem Islam. Aber Angst ist ein lähmender und ein fantasielos schlechter Ratgeber - wer wüsste das nicht?

„Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Dieser Hinweis des Paulus ist vielleicht das mächtigste Gegenmittel gegen Angst, Depression und Fatalismus. Wir haben es eben kraftvoll miteinander gesungen, was die alles aufrüttelnde Entdeckung für den furchtsamen Martin Luther war: Allein die Gottesfurcht, die Konzentration auf Gottes Gegenwart und Nähe in Jesus Christus, vermag die Dämonen zu vertreiben und uns frei zu machen. Nicht die Angst, auch nicht die Angst vor Gott vermag Menschen zu retten. Allein die Gottesfurcht hat die Macht, sogar unsere mächtigsten Dämonen in die Schranken zu verweisen. „Und wenn die Welt voll Teufel wär‘, und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen...“ - Dass die Welt sich tatsächlich gebärdet, als sei sie vom Teufel besessen, wer hätte das noch nicht erfahren? Spätestens ein Blick in die weltweiten Nachrichten belehrt uns da ganz schnell! Wir haben einige der globalen Teufel dieser Welt zu Beginn beschrieben:

Teufel der weltweiten Ungerechtigkeit,

Teufel des wachsenden Hungers,

Teufel der Habgier und des Größenwahns,

Teufel der Sucht und Dummheit,

Teufel der Einsamkeit ...

Hier mag jeder von Ihnen die mächtigsten Teufel seines eigenen Lebens ergänzen, um sie dann in diesem Gottesdienst loszuwerden und sie sich aus vollem Hals aus dem Leib zu singen. Singen kann nämlich genau das sein: Ein mächtiger Exorzismus auf evangelisch, Dämonenaustreibung auf protestantisch oder noch besser auf christlich: „... so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns wohl gelingen.“ Singen vertreibt die Angst. Und wir erfahren tief durch atmend, wie uns eine bleischwere Last von den Schultern genommen wird. Gelassenheit breitet sich aus und wir ahnen, wovon Paulus da voller Überzeugung und Leidenschaft in seinem Brief nach Philippi schreibt: Ihr seid es nicht, die Ihr Euch selbst oder Eure Welt retten werdet, egal wie sehr Ihr Euch auch müht und ängstigt. „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“

Wie bei Luther kommen bei Paulus tiefer Ernst und heitere Gewissheit zusammen: Da schreibt der Häftling Paulus an befreundete Gemeindeglieder, die ihm besonders an das Herz gewachsen sind, einen hoffnungsstrotzenden Brief. Diese Menschen in der römischen Militärkolonie Philippi geraten immer wieder in den für sie lebensgefährlichen Konflikt zwischen ihrer Verehrung des einen Gottes, ihrer Gottesfurcht, und dem staatlich eingeforderten Kaiserkult. Der gefangene Paulus schreibt ihnen einen heiteren und fröhlichen Brief voller Ermutigung zur Gottesfurcht und damit zum zivilen Ungehorsam gegen den Kaiser: Da beteuert der Mann aus der Todeszelle, dass christlicher Glaube fröhlich und lebensverliebt ist. Dass Christinnen und Christen Furcht und Zittern nur vor Gott kennen, aber vor sich nichts und niemand sonst ängstigen müssen. „Fürchte dich nicht!...“ Natürlich schleicht sich da am Reformationstag die Erinnerung an Martin Luther ein, wie er in Worms der römischen Autorität die Stirn geboten hat.

In mir erwacht angesichts dieser Bilder eine große Sehnsucht, in Kontakt mit einer Kraft zu kommen, die es vermag, den Paulus in römischer Todeshaft mit Freude zu erfüllen und den furchtsamen Mönch Luther in Worms eine solche Zivilcourage zu verleihen. Im Bibeltext steht für dieses lebensvolle Handeln Gottes das kraftvolle Wort „energein“. Gott ist es, der mit seiner Energie beides bewirkt, das Wollen und das Vollbringen. Für uns ist da nichts zu wollen, geschweige denn zu vollbringen, außer uns an seine Energie anzuschließen und sie durch uns strömen zu lassen. In diesem Kraftfeld sind wir gut aufgehoben, diese Kraft spült selbst Mutlosigkeiten und Einsamkeiten hinweg. Diese göttliche Energie betäubt unsere Ängste nicht, sondern verwandelt sie in Hoffnung. Diese Kraft veredelt Verzagtheit zu Mut.

Der paulinische Wegweiser mitten in diesem Gottesdienst weist einen Weg, der aus der Atem abschnürenden Zelle der Angst in den weiten und lichtdurchfluteten Raum der Gottesfurcht führt. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ beschreibt der Psalmbeter (Ps. 31, 9) diese seligmachende Erfahrung. Nicht nur zur Reformationszeit erwachten in der befreienden Nähe Gottes Menschen aus ihrer Erstarrung und Lähmung. Auch heute strecken und recken sich Menschen, die in Berührung kommen mit der christlichen Hoffnung. Sie richten sich auf und nehmen endlich wieder wahr, über welche Kräfte und Möglichkeiten sie verfügen. Welche Kräfte in ihren schlummern, um ihr Leben zu gestalten und diese Welt zu verändern.

Nicht länger verkrümmt in sich selbst, wie das Luther einmal genannt hat, sondern mit einem offenem und wachen Blick für sich selbst und für andere. Jede und jeder für sich, aber erst recht als Gemeinschaft üben diese Christen in dem hellen und schönen Trainingsraum der Gottesfurcht, die Angst zu parieren: Als Paar oder Familie, als Kommune Mettmann oder als Bundesrepublik Deutschland, als Kirche hier in der Freiheitstraße oder als Kirchenkreis Mettmann, als Evangelische oder als Katholische eingebunden in eine lebendige und reichmachende Ökumene. Menschen, die ohne Angst, aber in Gottesfurcht ihr Leben gestalten, erlernen eine neue tiefer gehende Lebenshaltung: Die Ehrfurcht vor dem Leben auf dieser Erde, die Liebe zu jungen und zu alten Menschen, die bereichernde Nähe zu Kranken und zu Behinderten, die Verantwortung für die Armen und Entrechteten. Und den Protest gegen das Zocken mit den Lebensmöglichkeiten heutiger und kommender Generationen.

So energiegeladen wirkt Gott selbst unter entwürdigenden und kaputten Verhältnissen, weil er „im Wollen und Vollbringen“ jeden einzelnen Menschen und sein Glück liebevoll im Blick hat. Dass unsere beiden Glücksritter aus dem Witz vom Anfang keine möglichen Vorbilder in einer „Anleitung zum Glücklichsein“ sind, versteht sich von selbst, aber vielleicht können uns Paulus, Luther die Banknachbarin hier in der Kirche oder die katholische Freundin aus der Besuchsdienstgruppe zu solchen Vorbildern werden. Das Glück des Glaubens strahlt durch die Zeiten aus sehr unterschiedlichen Menschen. Und es leuchtet auch heute Abend aus den Menschen dieser Mettmanner Gemeinde, in ihrem Übungsraum der Gottesfurcht- hier in dieser Kirche. Das Glück des Glaubens klingt durch die Schönheit des Gesangs und der Kirchenmusik, aus allem sozialen und politischen Engagement, aus jedem Krankenbesuch und jedem Ehrenamt.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie unser Reformationstag noch einmal in Berührung bringt mit dem Glück des Glaubens. Dieser schöne und beseligende Zustand, der in uns das Gefühl wachsen lässt, in uns selbst und in unserer Welt unerschütterlich geborgen und aufgehoben zu sein, egal was kommt. Das tiefe Wissen, mit Gott verbunden zu sein, in himmlischen und in höllischen Zeiten. Gott ist die Kraft, mit der man selig werden kann- von nun an bis in Ewigkeit.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen


Petra Bosse-Huber