Ethik ohne Kirchen?

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim

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Während des letzten Jahres war das Coronavirus das dominierende Thema unzähliger Talkshows und Nachrichtensendungen. Immer seltener waren dazu Vertreterinnen oder Vertreter der Kirchen gefragt, dafür kamen immer häufiger die Vorsitzenden des deutschen oder europäischen Ethikrats zu Wort.

Es vollzieht sich eine Verschiebung, vielleicht ist es sogar ein grundlegender Wandel. Wie der Ethikunterricht immer häufiger den schulischen Religionsunterricht ersetzt, so verdrängen Ethikräte die Kirchen, wenn es um die „großen Fragen des Lebens“1 geht. Dem „Deutschen Ethikrat“, der 2001 als „Nationaler Ethikrat“ von der Rot-grünen Regierung erfunden wurde, gehören 26 Experten - darunter auch ein paar kirchliche Persönlichkeiten - an, die vom Bundestag und Bundesrat ausgewählt werden. Der sogenannte „europäische Ethikrat“ eine kleine Beratungsgruppe von 15 Personen untersteht dem EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation. In beiden Gremien wird ohne Zweifel mit großer Seriosität darum gerungen, unterschiedliche ethische Ansätze miteinander in Einklang zu bringen. Im Ergebnis soll der Regierung und der Öffentlichkeit eine eindeutige Handlungsempfehlung vorgestellt werden.

Daran ist nichts auszusetzen, aber ich finde es bedenklich, dass am Ende eine weltanschauliche Neutralität vorgetäuscht wird, die es nicht gibt. Bei ethischen Entscheidungsprozessen geht es um die Abwägung zwischen unterschiedlichen Wertvorstellungen, die immer ideologisch, religiös bzw. philosophisch geprägt sind. Diese Debatte darf nicht auf Expertengremien beschränkt bleiben, sie muss frei und offen in aller Öffentlichkeit stattfinden und Christen müssen sich daran beteiligen. So mancher Stellungnahme des Ethikrats ist zwar noch anzumerken, dass unsere Gesellschaft einmal vom Christentum geprägt war, aber genau das wird von Kritikern des Ethikrates auch angeprangert. Am liebsten wäre es ihnen, wenn sich andere Wertvorstellungen durchsetzen würden. Welche Ideologie, welcher „Ismus“ käme dann wohl zum Tragen?

Ich wünsche mir, dass ethische Entscheidungsprozesse nicht hinter den Kulissen sattfinden, sondern auf offener Bühne, und dass sich Christen innerhalb und außerhalb von Ethikräten dazu vernehmbar zu Wort melden2, nicht nur in Sachen Suizidhilfe.

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1 https://www.ethikrat.org/ Im ersten Abschnitt der Selbstdarstellung des Deutschen Ethikrates heißt es: „Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens. Mit seinen Stellungnahmen und Empfehlungen gibt er Orientierung für die Gesellschaft und die Politik.“

2  Im Ethikratgesetz von 2007 heißt es in §3 Abs. 2 „Im Deutschen Ethikrat sollen unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten sein“


Paul Oppenheim