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Alle reden vom Wetter
Mittwochskolumne von Paul Oppenheimm
Das gleiche Phänomen erlebe ich bei mir in Niedersachen. Kurz vor 20 Uhr wächst das Bundesland in der NDR-Wetterschau zu einem riesigen Flächenland heran. Das bekannte Wetterteam der ARD präsentiert exklusiv niedersächsisches Wetter: Regen, Wolken, Wind und Sonne zwischen Cuxhaven und Göttingen, von der Grafschaft Bentheim bis nach Helmstedt. Eine Viertelstunde später weitet sich der Horizont und ganz Deutschland erscheint auf der Wetterkarte, umgeben von namenlosen Gebieten. Diese wetterlosen Territorien sind keiner Erwähnung wert. Nur ausnahmsweise wird das Wetter in einen größeren Zusammenhang gestellt. Dann wird sichtbar, dass sich ein kaltes Hoch vom Norden nähert, dass ein Sturmtief vom Atlantik angewirbelt kommt oder warme Winde Wüstensand aus der Sahara bis nach Deutschland pusten. Inmitten anonymer Land und Wassermassen sind nur die Umrisse Deutschlands erkennbar, eine Insel im Wetterozean.
Wir haben es mit einem internationalen Phänomen zu tun, dass in jedem Land die Wettervorhersage an den Landesgrenzen halt macht, nicht nur im Fernsehen, auch im Radio. So prägen sich Ortsbezeichnungen ein. Namen deutscher Städte, deutscher Flüsse und Inseln werden uns vertraut. Genauso geht es Franzosen und Italienern, Spaniern und Slowaken. Jenseits der Grenze liegt namenloses wetterloses Nichts und das ist schlimm. Wäre es nicht wunderbar, die Namen polnischer Städte, französischer Flüsse und tschechischer Mittelgebirge ebenso gut zu kennen, wie die deutschen? Das ist mein großer Wunsch und meine Hoffnung, dass mir jeden Abend eine Wetterkarte Europas gezeigt würde, auf der ich erkenne, dass der Regen über München mir nicht näher ist als der Regen über Kopenhagen und die Sonne über Middelburg in Zeeland nicht ferner als die Sonne über Freiburg im Breisgau. Die Wetterkarte wäre ein Anfang, es könnten europäische Corona-Nachrichten folgen und am Ende wäre auch der Klimaschutz kein rein deutsches Thema mehr.
Paul Oppenheimm