Bis zu siebenmal?

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


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Viel Wut hat sich angesammelt. Viel Ärger hat sich angestaut. Menschen verspüren Enttäuschung, Frustration, Bitterkeit bis hin zu Verzweiflung und abgesehen von verletzten Gefühlen, Traumata und Depressionen erfahren viele den Zusammenbruch ihrer beruflichen Träume, ihrer Existenz bis hin zur Insolvenz und Arbeitslosigkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Ländern, wo es unerträglich viele Tote gegeben hat.

Unheil gab es allenthalben und das Meiste lässt sich nicht wieder gut machen. Am Ende des Tages wird man nach Schuldigen rufen. Dabei nehmen wir die Hungertoten Afrikas und die verelendeten Wanderarbeiter Südasiens noch kaum wahr. Auch sie zählen zu den Opfern eines erstaunlichen Experiments: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sollte ein Krankheitserreger durch weltweite Hygiene-Maßnahmen gestoppt werden. Grenzen wurden geschlossen, der Flugverkehr eingestellt, Büros, Fabriken, Schulen, Kindergärten und Universitäten still gelegt, Ausgangssperren verhängt, Versammlungsverbote ausgesprochen, Abstandsregeln und das Tragen von Masken vorgeschrieben. Beinahe die ganze Menschheit hat sich gegen einen gemeinsamen Feind gewehrt. Manche Regierungen sprachen unverhohlen davon, dass es ein „Krieg“ sei, während andere auch ohne Kriegsrhetorik Notstandsgesetze und Kriegsrecht in Kraft gesetzt haben.

Inmitten dieser historisch einmaligen Geschehnisse wartete ich darauf, dass christliche Kirchen, ihr Schweigen brechen, dass sie die Ostergottesdienste dazu nutzen, den Sieg Gottes über den Tod zu verkünden. Stattdessen standen Pfarrer einsam in leeren hallenden Kirchen vor Fernsehkameras und hatten kaum anderes zu sagen, als die Virologen und Politiker. Vom Gesundheitsschutz war die Rede, aber wo war “der eine wirkliche Gott“, von dem es im Heidelberger Katechismus heißt: „Ihn allein soll ich von ganzem Herzen lieben, fürchten und ehren, so dass ich eher alle Geschöpfe preisgebe als im geringsten gegen seinen Willen handle“ (Frage 94)?

In diesen ganzen Wochen und Monaten hat es ein einziges Politikerwort gegeben, das für mich richtig klang und mir hilft, der kommenden Zeit mit Gelassenheit entgegenzusehen. Es ist der Ausspruch von Gesundheitsminister Jens Spahn vor Journalisten am 22. April: „Wir werden einander viel, sehr viel zu vergeben haben." Es erinnert an den Ausspruch Jesu, der auf die Frage des Petrus, wie oft er seinem Bruder vergeben müsse, antwortet: „Ich sage dir, nicht bis siebenmal, sondern bis zu siebenundsiebzigmal.“


Paul Oppenheim