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Die große Koalition und das Gesangbuch
Eine Glosse von Jürgen Kaiser
Erst war man sich nicht einig, ob Maaßen entlassen werden soll. Dann hat man sich geeinigt, ihn zu entlassen, indem man ihn befördert. Dann hat die gesamte Öffentlichkeit gesagt: „Moment mal! Entlassen und befördern - wie geht das denn?“ Dann haben es auch die drei Koalitionsspitzen gemerkt und Herrn Maaßen weder entlassen noch befördert, sondern auf einen Posten versetzt, der für ihn geschaffen wurde und auf dem er die anderen nicht stört, wie die Kanzlerin erläuterte.
Zur Buße gehört das Bekenntnis der Sünde. Das hat Frau Merkel abgelegt. Auch Reue war ihr einigermaaßen anzumerken. Zur Buße gehört auch das Versprechen, es künftig besser zu machen. Man wolle sich wieder mehr mit den Problemen der anderen und weniger mit den eigenen beschäftigen. Man könnte darüber hinaus – das wäre mein Rat – Choräle singen. Unser geistlicher Liederschatz gibt Orientierung– selbst in politischen Fragen. Am Tag, als man beschloss, Maaßen als Verfassungsschutzpräsident abzusetzen, wies mich unser Kantor Kilian Nauhaus auf das Wochenlied hin. Dort heißt es: „Er hilft aus Not, der treue Gott, er tröst' die Welt ohn Maßen“ (EG 364,1). Gut beraten wären die Koalitionsspitzen, die sich zu ihren Krisensitzungen oft sonntags treffen, vor ihren Beratungen erst das jeweils neue Wochenlied zu singen, zu bedenken und dann die anstehenden Entscheidungen zu treffen.
In der Causa Maaßen hätte man auch einige andere Lieder singen können. Die Entscheidung fällt eindeutig für „ohne Maßen“. Etwa die zweite Strophe von „Nun lob, mein Seel, den Herren“: „Er hat uns wissen lassen sein herrlich Recht und sein Gericht, dazu sein Güt ohn Maßen“. Gottes Wort ist aktueller als man denkt: „Wie mir dein Mund gegeben kund, schenkst Gnad du ohne Maßen“ (EG 222,1). Wenn man noch EG 202,2 und EG 82,2 hinzunimmt, spricht sich das Gesangbuch mehrheitlich gegen Maaßen aus. „Mit Maßen“ will es nur Paul Gerhardt wagen, obwohl selbst bei ihm die Prognose nicht eindeutig ist und durchaus anders interpretiert werden kann: „Fromm ist Gott und schärft mit Maßen sein Gericht.“ (EG 370,5) Es ist – glaub ich - das Lieblingslied von Horst Seehofer: „Warum sollt ich mich denn grämen?“
Das ganze Koalitionschaos hätte sich mit mehr geistlichem Spitzengesang vermeiden lassen. Am Bußtag hätte Angela Merkel singen können: „Wenn meine Sünd' mich kränken“ (EG 82) und im Rückblick auf das Chaos auch die zweite Strophe: „O Wunder ohne Maßen, wenn man’s betrachtet recht: es hat sich martern lassen der Herr für seinen Knecht“.
Jürgen Kaiser