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Wirtschaftliche und soziale Menschenrechte theologisch begründen
Ein Beitrag zum interreligiösen Dialog und zur ''menschengerechten Gestaltung der Globalisierung''
Das Papier CHANCE FÜR EINE GERECHTERE WELT. BIBLISCH-THEOLOGISCHE IMPULSE ZU DEN WIRTSCHAFTLICHEN UND SOZIALEN MENSCHENRECHTEN IM KONTEXT DER GLOBALISIERUNG hat der Ständige Theologische Ausschuss der EKiR erarbeitet und die Landessynode sich im Januar 2012 zu eigen gemacht.
Im Interview erläutert Dr. Ilka Werner, Vorsitzende des Theologischen Ausschusses der Evanglischen Kirche im Rheinland (EKiR), das Papier.
Eine Frage zur Klärung vorab: Welche Menschenrechte sind in der Kategorie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte zusammengefasst?
Die „WSK-Rechte“ umfassen das Recht auf Bildung, auf soziale Sicherheit, auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, auf Schutz vor Hunger, auf den Schutz von Familien und Müttern, auf Teilhabe am kulturellen Leben und den Erkenntnissen der Wissenschaft. Sie wurden von der UN 1966 als „Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" verabschiedet, vor allem mit Unterstützung der sozialistischen Staaten und der sogenannten Entwicklungsländer. Also gehören die bei uns zur Zeit diskutierten Fragen nach Bildungsgerechtigkeit bzw. dem Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen sowie die Debatten um leistungsunabhängige Grundsicherung und Sozialstandards am Arbeitsplatz auch zu diesem Bereich.
Die Verfasser des Beschlusses „Wirtschaften für das Leben“ haben bei den WSK-Rechten ein besonderes Potential gesehen, die Situation von durch den Globalisierungsprozess benachteiligten Bevölkerungsgruppen nachhaltig zu verbessern. Warum?
Gerade die Teilhabe an Bildung, Kultur und sozialer Sicherheit ermöglichen es Menschen, ihre eigenen Kräfte und Potentiale zu entwickeln und sich selbst zu helfen.
Der Menschenrechtsgedanke ist ein humaner, allgemein zugänglicher Gedanke, der nicht zwingend theologisch begründet werden muss. In wieweit können biblisch-theologische Impulse, die ein Schwerpunkt Ihres Papiers sind, die Diskussion bereichern?
Wer die Bibel liest, stellt fest, dass Gott und Gottes Recht sich durch eine „vorrangige Option für die Armen“ auszeichnen, das heißt sich auf die Seite derer schlagen, die Schutz vor Ausbeutung brauchen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Menschenrechte. Es ist spannend, konkrete Anliegen zu vergleichen und nach neuen Blickwinkeln zu suchen. Und die biblische „Option für die Armen“ kann da, wo Menschenrechte in Konflikt miteinander geraten, weiterhelfen.
Welche sozialpolitischen Folgerungen sind dem Ausschuss besonders wichtig? Wo hat er in dieser Hinsicht im Papier besondere Akzente gesetzt?
Es geht uns vor allem darum, die maßlosen Ansprüche menschen- und lebensfeindlicher Strukturen zu begrenzen. Die biblischen Gebote verlangen, den Entrechteten um Gottes Willen zum Recht zu verhelfen. Das erste Gebot beschreibt Gott als Herrn und Befreier. Diese Freiheit darf nicht durch den Totalanspruch eines globalisierten Marktes zerstört werden. Das Impulspapier benennt deshalb als mögliche Perspektiven für die Umsetzung der WSK-Rechte jedem Menschen eine leistungsunabhängige Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, Unternehmen rechtlich zu einer Produktionsweise zu verpflichten, die die Würde des Menschen achtet, statt die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu akzeptieren Privateigentum zu begrenzen und den Benachteiligten selbst wieder Stimme und Handlungsfähigkeit zu geben.
Es ist erklärter Wille der Evangelischen Kirche im Rheinland, dass sich die Kirchen am Prozess der Verwirklichung der Menschenrechte beteiligt. Wie kann dieses „Sich-Einmischen“ aussehen? Wo sind die Handlungsräume der Kirchen?
Zunächst einmal kann die Kirche sich an die eigene Nase fassen und zum Beispiel als Arbeitgeberin die Situation der Mitarbeitenden überdenken. Hier wird schon viel getan, es ist aber noch mehr möglich. So kann Kirche Vorbild für andere Unternehmen sein. Sie kann durch transparente Selbstkritik auch eine Kultur der Verbesserung fördern und dem Eindruck entgegentreten, als passierten Menschenrechtsverletzungen nur anderswo. Außerdem kann Kirche ihren politischen Einfluss nutzen und immer wieder anwaltschaftlich für die in ihren Rechten Verletzten eintreten. Durch Mitgliedschaft zum Beispiel im Evangelischen Entwicklungsdienst oder in der Vereinten Evangelischen Mission engagiert sie sich auf ökumenischer Ebene für Verarmte und Unterdrückte, für kirchliche Menschenrechtsarbeit.
Das Impulspapier möchte Gemeinden, Kirchenkreise, landeskirchliche Einrichtungen einladen, sich auch lokal oder regional für die Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte zu engagieren. Was können Einzelne, Gruppen oder Institutionen hier konkret unternehmen, um einen Beitrag zu leisten?
Viele kirchliche Gruppen und Gemeinden tun schon eine Menge: Sie engagieren sich für den fairen Handel, für ethische Geldanlagen, existenzsichernde Arbeitsverhältnisse. Das ist prima, und es wäre gut, wenn sich dieses Engagement weiter ausbreitet - und nicht etwa der „faire“ Kaffee aus Preisgründen im Sparprozess wieder abgeschafft wird. Zur Zeit sind viele in der Kirche eher mit den eigenen Problemen beschäftigt, da ist es nötig, dass es auch die gibt, die zum Beispiel die „Fernstenliebe“ und das Engagement für weltweit faire Bedingungen im Bewusstsein halten. Vor allem geht es mir darum, das Thema „Menschenrechte“ lebendig zu halten: Es wissen längst nicht alle Menschen, was damit gemeint ist, in meinem Berufskolleg fragt ab und zu mal jemand, ob wir nicht zum Beispiel bestimmten Straftätern ihre Menschenrechte oder ihre Würde nehmen könnten. Da wird deutlich, dass der Gedanke von unveräußerlichen Grundrechten immer wieder neu vermittelt werden muss.
Sie werden dieses Papier jetzt auf der Akademietagung „Wirtschaftliche und soziale Menschenrechte – Chance für eine gerechtere Welt“ vorstellen. Was wird dabei für Sie besonders spannend sein?
Das Papier ist ja bloß ein Anfang. Ich bin gespannt darauf, mit unterschiedlichen Leuten weiterzulernen und weiterzudenken, über die Ähnlichkeiten zwischen Bibel und Menschenrechten, und vor allem über die konkreten Herausforderungen, die sich für uns ergeben.