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Spiritualität und Co.
Mittwochs-Kolumne von Barbara Schenck
Im Sinnen über die Zukunft der Kirche sind sich die Pfarrerinnen und Pfarrer des kleinen Gesprächskreises einig: reformierte Spiritualität gilt es zu entfalten. Wie das? Der Zwischenstand meines spirituellen Selbstversuchs sei vorweg genannt: Ich blieb hängen beim Co., bei den Stichworten Enttraditionalisierung und christliche Identität.
Das kam so: Beim Googeln nach einem Buch zur Spiritualität las ich im Inhaltsverzeichnis "reformiert" statt "reformatorisch" und bestellte den Band "Spiritualität im Diskurs". Beim Lesen versank ich in dem Artikel des katholischen Theologen Lieven Boeve: "Spiritualität und das offene christliche Narrativ". Boeve warnt davor, Enttraditionalisierung falsch zu verstehen. Der Traditionsabbruch beschreibe eine strukturelle Entwicklung, sei aber keine "ideologische Ablehnung von Traditionen". Diese Entwicklung trifft nicht nur die Kirchen, sondern auch andere Institutionen. Atheistische Verbände etwa hätten es - zumindest in Belgien - schwer, ihr Erbe an die kommende Generation zu vermitteln. Scheinen die leeren Kirchenbänke nicht gleich etwas weniger bedrohlich?
Ebenso ist Individualisierung nicht mit Individualismus zu verwechseln. Ich bin gefordert, meine persönliche Identität zu konstruieren, aber das heißt ja nicht automatisch egoistisch zu werden. Neben der Tradition meiner Eltern stehen andere Angebote. Das gilt auch für die Religion. Die in Europa zu beobachtende Pluralisierung der "Lebensoptionen" bedeutet nicht, im Relativismus zu versinken. Im Gegenteil. Gerade Menschen, die an religiösen Feiern anderer Religionen teilnehmen, machen die Erfahrung, plötzlich zu erkennen, was ihnen an ihrer eigenen Tradition wertvoll ist.
Ich selbst war ganz überrascht, als ich mich dabei ertappte, beim Studium in Israel tunlichst zu vermeiden, an einem Kurs am Sonntag, dem ersten Tag der Arbeitswoche, teilzunehmen - obwohl ich zu Hause in Deutschland durchaus hin und wieder am Sonntag Arbeit verrichte, die aufgeschoben werden könnte. Andererseits lasse ich mich ganz ungeniert von jüdisch-rabbinischer Auslegung biblischer Schriften, von klassischen und modernen Midraschim für das eigene Theologie-Treiben inspirieren. Für meinen Großvater, einst Pfarrer in Thüringen, wäre das undenkbar gewesen, auch nach dem Krieg.
Unsere "heiligen Geschichten", Boeve spricht vom "christlichen Narrativ " mit den Motiven Berufung, Exodus, Berg, Wüste, Kreuz und Auferstehung, illustrieren geradezu dies Eine: zu unserer Identität gehört die "Unterbrechung". Es bleibt nicht alles beim Alten. Von Ägypten ging's ins Land, wo Milch und Honig fließt. Jesus zu folgen bringt mit sich, "den anderen aufzusuchen, der unser Narrativ unterbricht", so Boeve. Langweilig wird's nicht, aber auch nicht einfacher.
P.S.: Wer das Stichwort Spiritualität am Ende vermisst, muss auf spätere Beiträge oder die eigene Praxis vertröstet werden. Spiritualität ist für Boeve der Begriff geworden für "das Vokabular von Religion, Religiosität, Identität etc.".
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Quelle:
Lieven Boeve, Unterbrechung und Identität in der pluralistischen Welt von heute. Spiritualität und das offene christliche Narrativ, in: Spiritualität im Diskurs. Spiritualitätsforschung in theologischer Perspektive, hrsg. von Ralph Kunz, Claudia Kohli Reichenbach, Praktische Theologie im reformierten Kontext Bd. 4, TVZ, Zürich 2012, 161-179.
Barbara Schenck