THEOLOGIE VON A BIS Z
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Wenn Gott bestritten wird
Der Glaube an Gott und die Argumente des neuen Atheismus
1. Der Gewohnheitsatheismus als Problem der Kirche
2. Die Auslöser des „Neuen Atheismus“: Fundamentalismus und Gewalt
3. Die Sprache des „Neuen Atheismus“
4. Ein gezieltes Missverständnis: Glauben als illusorisches Für-wahr-Halten
5. Fragwürdige „Gottesbeweise“
6. Kritik der Gewalt in der Bibel
7. Den Atheismus mit dem Evangelium aufklären!
1. Der Gewohnheitsatheismus als Problem der Kirche
Der Atheismus ist in Deutschland seit der Wende im Jahre 1989 eine verhältnismäßig zahme und unspektakuläre Angelegenheit. Zwar gibt es einige atheistische Vereinigungen, welche die Öffentlichkeit suchen und für Lebensentwürfe ohne den Gottesglauben und ohne Religion werben. Im Osten Deutschlands und in Berlin macht z.B. der „Humanistische Verband“ den Kirchen einigermaßen zu schaffen, weil er erfolgreich in die Schulen drängt und einer der Träger der Jugendweihe ist, die hier der Konfirmation das Wasser abgräbt.
Doch dieser Verband hat ein Programm, dass von edlem Menschentum nur so trieft und Toleranz gegenüber den Religionen ausdrücklich auf seine Fahnen geschrieben hat. Scharfe Polemik gegen den Glauben an die Existenz Gottes kommt da kaum vor. Was aber die Größe dieses Verbandes betrifft, so hat er – wie andere atheistische Vereinigungen auch – die Gestalt einer Splittergruppe. Offenbar haben die deutschen Atheisten weder Lust noch Neigung, sich für die Verbreitung ihres Nichtglaubens an Gott und für die Durchsetzung von Lebensentwürfen ohne Religion zu engagieren. Spätestens der Zusammenbruch der marxistisch-leninistischen, atheistischen Weltanschauungsdiktatur in der östlichen Welt scheint ihnen dazu die Lust ausgetrieben zu haben.
Aus dieser Beobachtung ist jedoch keinesfalls zu schließen, der Atheismus sei in unserem Lande eine bedeutungslose Angelegenheit. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Nach der neuesten Erhebung des „Religionsmonitors“ der Bertelsmann-Stiftung versteht sich fast ein Drittel unserer Bevölkerung als „nichtreligiös“ und damit als praktisch atheistisch. Im Osten Deutschlands sind noch viel mehr. Über 75 % der Bevölkerung will dort mit Gott, mit der Religion und der Kirche entschieden nichts zu tun haben. Für sie hat sich das Thema erledigt. „Atheismus“ ist bei ihnen nicht irgendeine Theorie, sondern eine selbstverständliche Realität. Sie haben sich an das Leben ohne Gott einfach gewöhnt. Das ist schon seit Generationen so. Schon die Großeltern, ja sogar die Urgroßeltern waren nicht in der Kirche.
Im Westen tritt dieser Gewohnheitsatheismus nicht so blockartig in Erscheinung, wie er in der DDR unter dem Druck kirchenfeindlicher staatlicher Macht zustande gekommen ist. Die Gründe, warum einem Drittel der Bevölkerung der Glaube an Gott völlig egal ist, sind hier weitaus breiter in den individuellen Lebensgeschichten von Menschen verankert. Aber der Effekt ist der Gleiche wie im Osten, nämlich: Die Sache mit Gott ist „abgehakt“. Sie ist für sie unter das Niveau von etwas ernst zu Nehmenden gesunken. Damit setzt man sich nicht mehr auseinander. Das lässt man einfach bleiben.
Für die Kirche im Osten Deutschlands stellt dieser fraglos und profillos in selbst ruhende Atheismus zweifellos das Problem aller Probleme in einem einstmals christlichen Lande dar. Sie kann ihre flächendeckende Verbreitung in Mecklenburg und Vorpommern, in Brandenburg und Restschlesien, in Sachsen und Kursachsen, in Anhalt und Thüringen aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahlen nicht mehr aufrecht erhalten. Vor allem findet sie kein Konzept, wie sie mit ihrer Botschaft in die Nebellandschaft eines verhärteten Desinteresses an allen Fragen, die es mit Gott und der Religion zu tun haben, eindringen soll. Im Westen wiederum drückt der praktische Atheismus trotz seiner massenhaften Verbreitung unter Millionen von Menschen noch nicht so sehr auf die Lebensvollzüge der Kirche, dass an ein solches Konzept irgendwelche Überlegungen gewandt werden. Das Impulspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Zukunft der „Kirche der Freiheit“ hält das Eingehen auf den Gewohnheitsatheismus in unserem Lande nicht eines Gedankens für wert.
In gewisser Weise dürfen wir darum durchaus dafür dankbar sein, dass sich der Atheismus in unseren Tagen wieder lautstark zu Worte meldet. Sofern er das mit Argumenten tut, könnte er dem verschwommenen und stummen Gewohnheitsatheismus wieder eine Stimme geben. Er könnte die vielen Atheisten in unserem Lande daran erinnern, dass der Atheismus ja eigentlich der Menschheit den Weg in eine wahrhaft vernünftige und gerechte Gesellschaft weisen wollte. Statt eines vor sich hin dümpelnden Ressentiments gegen allen Gottesglauben würden die echten Fragen auf die Tagesordnung kommen, die Menschen zu Atheisten werden lassen und die auch für die Christenheit von Bedeutung sind.
Denn wir dürfen uns ja keine Illusionen machen. Die fast 30% atheistisch gesinnter Menschen in unserem Lande sind nicht bloß jenseits von festen Kirchenmauern beheimatet. Sie reichen in unsere Volkskirche, der sie aus irgendwelchen Gründen noch angehören, hinein. Mehr noch: Die Probleme und Zweifel am Gottesglauben, die mit den atheistischen Argumente gegen den Gottesglauben zusammen hängen, setzen auch sehr vielen Gliedern der Gemeinde zu. Sie sind sich unsicher, wie man solchen Argumenten begegnet. Oft fehlen auch die Kenntnisse und Voraussetzungen, um sich mit ihnen auseinander zu setzen. Das breite Eingehen auf den sogenannten „neuen Atheismus“ in der Kirche käme darum nicht nur der Gesprächsfähigkeit der deutschen Christenheit mit ihren atheistischen Nachbarn, Kollegen und Freunden sowie in der Öffentlichkeit zu Gute. Es würde auch der Klärung des Selbstverständnisses von Menschen, die im 21. Jahrhundert an Gott glauben, dienlich sein.
Insofern besteht für unsere Kirche und Gemeinden kein Grund, auf die Fanfarenstöße des „neuen Atheismus“ ängstlich zu reagieren und uns ihnen gegenüber Oropax in die Ohren zu stopfen. Wir können diese Fanfarenstöße durchaus als Chance begreifen, mit Menschen, die sich als Atheisten verstehen, ins Gespräch zu kommen. Wir können uns angesichts der Argumente für den Nichtglauben darüber klar werden, was wir eigentlich selber glauben. Die Frage ist nur, ob jener „neue Atheismus“ dazu taugt, die Auseinandersetzung zwischen Glaube und Nichtglaube auf eine neue Basis zu stellen.
2. Die Auslöser des „neuen Atheismus“: Religiöser Fundamentalismus und Gewalt
„Neu“ ist der Atheismus, von dem wir hier reden, für uns zunächst einmal darum, weil er nicht aus unserer mitteleuropäischen Gegend stammt. Dieser Atheismus ist ein Import. Er stammt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und kommt hier durch Übersetzungen auf die Bestseller-Listen. Auch inhaltlich spielen bei seinen Vertretern die europäischen und deutschen religiösen Verhältnisse keine Rolle, geschweige denn die Literatur, die hier zum Thema „Atheismus“ erschienen ist. Der dominierende Kontext, auf den sich dieser Atheismus bezieht, ist vielmehr die religiöse Situation in den USA und dort vor allem der weit verbreitete christliche Fundamentalismus, der auch auf die Politik einen starken Einfluss nimmt.
Dieser Fundamentalismus versteht alle biblischen Zeugnisse von Gott, der Welt und den Menschen in gleicher Weise als zeitlos gültige Offenbarungen Gottes. Er verteidigt darum z.B. die biblischen Vorstellungen von der Entstehung der Welt und des menschlichen Lebens gegen die Astrophysik und gegen die Theorie von der Evolution des Lebens aus dem Tierreich. Er zeichnet sich durch eine Ethik aus, die z.B. Homosexualität für gottwidrig hält und auch sonst die ethischen Vorstellungen der Bibel von Staat und Gesellschaft, Ehe und Familie, direkt in unsere Zeit überträgt.
Dieses Christentum zu bekämpfen, hat der „Neue Atheismus“ sich vorgenommen. Was er dagegen vorzubringen hat, darüber könnte man ja sicherlich mit vielen Christinnen und Christen, Kirchen und Konfessionen auf der Welt reden. Sein besonderes Profil gewinnt jener Atheismus jedoch dadurch, dass er alles Christentum auf der Welt mit diesem Fundamentalismus in einen Topf wirft. Wir Christenmenschen müssen so sein, dass wir glauben, die Welt sei vor sechstausend Jahren erschaffen und Adam mit seiner Eva seien historische Figuren. Wir müssen alle Anweisungen aus Bibel befolgen wie z. B. den Heiligen Krieg gegen Menschen anderer Religionen. Ja mehr noch: Alle Religionen der Welt werden so beurteilt, dass sie längst veraltete, menschenfeindliche und vernunftwidrige, durch die Wissenschaft widerlegte, absurde Vorstellungen von der Welt und vom Menschen hegen.
Das ist allerdings überhaupt nicht „neu“. Das kennen wir seit über 200 Jahren. Ich selbst musste mich in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf der sozialistischen Schule mit dem derartigen Vorwürfen auseinandersetzen. Was die christliche Theologie dazu zu sagen hat, interessierte jedoch die atheistischen Agitatoren damals genauso wenig wie die „neuen Atheisten“ heute. Sie bemühen sich vielmehr, nachzuweisen, dass alle Religion in dem beschriebenen Sinne fundamentalistisch sein muss.
Wenn es hier trotzdem eine Aufgeschlossenheit für die moderne, wissenschaftliche Zeit gibt, dann stammt diese Aufgeschlossenheit nach ihrer Ansicht nicht aus den Wurzeln des Gottesglaubens. Sie verdanke sich vielmehr dem Einfluss des Atheismus auf den Glauben. Wir werden sehen, wie es damit steht. Jedenfalls muss sich ein Christ, der sich mit diesem Atheismus auseinander setzen will, über sein eigenes Verhältnis zum Fundamentalismus klar werden. Dazu gehört nach unserem ersten Blick auf das Profil dieses Atheismus auch die Klarheit über das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft sowie Klarheit über die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben und das Leben.
Hinzu kommt ein Weiteres, was in gewisser Weise „neu“ für den Atheismus ist. Es hängt mit der Zeit zusammen, in der sich in Amerika zu Worte meldete. Es ist die Zeit nach dem 11. September 2001, dem islamistischen Terroranschlag auf das World-Trade-Center in New York. Das religiöse Motiv dieses Anschlags, nämlich die Vernichtung von Ungläubigen und Verheißung des Paradieses für die Attentäter, hat auch bei uns eine Diskussion über den Zusammenhang von Religion und Gewalt ausgelöst, auf wir noch zu sprechen kommen.
In den USA aber ist diese Diskussion auf die Behauptung zugespitzt worden, alle Religion sei notwendig gewaltsam gegenüber Andersgläubigen. Sam Harris, ein amerikanischer Neurowissenschaftler, hat in seinem auch in Deutschland veröffentlichten Buch, „Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft“ daraus die Konsequenz gezogen, nur der Atheismus könne die Welt vor solcher Gewalt bewahren. Der unwissenschaftliche Aberglaube an einen Gott sei dagegen eine immer wieder neu sprudelnde Quelle der Gewalt in unserer Welt.
Darüber aufzuklären, hat sich der „Neue Atheismus“ zum Ziel gesetzt. „Brihgts“, Aufklärer, nennen sich diese Atheisten deshalb. Sie klären darüber auf, „wie die Religion die Welt vergiftet“. So lautet der Untertitel des Buches des Journalisten Christopher Hitchens „Der Herr ist kein Hirte“. In diesem Buch, wie in dem von Sam Harris, wird eine Unmenge von Horrorgeschichten aus der Historie der Religionen und des Christentums zusammen getragen. Sie sollen belegen, dass der Glaube an einen Gott oder an Götter mit Notwendigkeit zur Ausrottung von anders Glaubenden führen muss. Dummheit gepaart mit Gewalt – das ist Religion. So lautet die Botschaft der „neuen Atheisten“ in ihren Bestsellern.
3. Die Sprache des „Neuen Atheismus“
Das in Deutschland bei weitem erfolgreichste Buch der „neuen Atheisten“ hat darauf noch einen I-Punkt gesetzt. „Der Gotteswahn“ hat der Oxforder Evolutionsforscher Richard Dawkins seine Analyse der Religion überschrieben. Er will damit sagen: Menschen, die an Gott glauben, sind irrsinnig. Sie leiden unter einem altertümlichen, gefährlichen, menschenmörderischen Wahnsinn, aus dem sie nur der Atheismus befreien kann. Nach dem Ende der Lektüre seines 575 Seiten starken Wälzers verspricht er darum allen Leserinnen und Lesern die Befreiung von diesem Wahn und damit die Bekehrung zum Atheismus.
Ob ihm das freilich gelingen wird, ist die Frage. Denn für jeden halbwegs empfindensamen und wachen Menschen hat dieses Buch etwas Abschreckendes. Es pflegt, wie die anderen „neuen Atheisten“ auch, einen Geist und damit eine Sprache, die scheußlich und eines Wissenschaftlers eigentlich unwürdig ist. Die Presse, wie die Illustrierte „Der Stern“ und das Magazin „Der Spiegel“, hat die Schimpfkanonaden auf die Religion, an denen offenbar sorgfältig gefeilt wurde, begierig auf aufgenommen und verbreitet. Der sound, in dem hier geredet wird, klingt etwa so: Die Bibel – das ist eine „chaotisch zusammengestoppelte Anthologie zusammenhangsloser Schriften“ (327).
Gott – das ist ein „psychotisches“ „grausames Ungeheuer“, ein „Monster“, nämlich „ein kleinlicher, ungerecht nachtragender Kontroll-Freak; ein rachsüchtiger blutrünstiger ethnischer Säuberer, ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, kinds- und völkermörderischer, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann“. Jesus – das ist der Vertreter einer jüdischen „Gruppenmoral“, die „Anweisungen zum Völkermord“ (358) gibt. Glauben – das ist „Gott in den Hintern kriechen“ (321f.). Christliches Leben – das ist eine „ethische Katastrophe“. Kirche – das ist Kindesmissbrauch, d.h. nicht nur „Fummelei in der Sakristei“ (440) und das Quälen von Mädchen durch „grausame Nonnen“, sondern das Verderben des Geistes von Kindern mit „Unsinn“ (453).
Um Kinder davon zu befreien, hat ein deutscher Atheist, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, in diesem Sinne einen „Dawkins für Kids“ verfasst: „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel.“ In diesem Machwerk werden mit entsprechenden Illustrationen die Vertreter der verschiedenen Religionen als dumme hasserfüllte Schreckensgestalten vorgeführt und lächerlich gemacht. Besonders schlimm ist die Darstellung eines jüdischen Rabbis, die der antisemitischen Nazipropaganda entnommen zu sein scheint.
Ich breche diese Kostproben neu-atheistischer Geistigkeit und ihres Sprachgebarens hier ab. Sie reichen, um den Eindruck zu vermitteln, dass hier etwas nicht stimmen kann. Bibel, Gott, Jesus, christlicher Glaube, christliches Leben und Kirche in Vergangenheit und Gegenwart kann man selbst beim übelsten Willen nicht auf das reduzieren, was hier gesagt wird. Hier rede ein „Dorfatheist“, ein Vulgäratheist, der die primitivsten Vorurteile gegen die Religion mit Argumenten aus der „Mottenkiste“ atheistischer Vorurteile schüre, ist darum über Dawkins geurteilt worden.
Was hier auch regelrecht Falsches aus der Geschichte des Christentums und der Religionen erzählt wird, hat englische Theologe Alister Mc Grath aufgelistet. Sein Fazit dessen ist, dass Dawkins vom „Atheismuswahn“ befallen sei. So der Titel seiner „Antwort ... auf den atheistischen Fundamentalismus“ von Dawkins. Dieser Wahn mache ihn und die anderen „neuen Atheisten“ unfähig, die Religion mit dem nötigen Differenzierungsvermögen für ihre Schattenseiten und ihre Lichtseiten wahrzunehmen; sie also zu beurteilen, wie sie in Wirklichkeit ist.
Unsere freudige Erwartung, das der „neue Atheismus“ uns auf ein neues Niveau der Gesprächs mit unseren atheistischen Mitmenschen führen könnte, wird darum bei näherem Hinsehen bitter enttäuscht. Hier soll kein Dialog geführt werden. Hier wird mit Hilfe einer Brille, durch die man nur Ausschnitte der Wirklichkeit sehen kann, abgeurteilt und diskriminiert. Wir jedoch, die wir am Dialog mit unseren atheistischen Mitmenschen und an der Selbstverständigung über unseren Glauben interessiert sind, werden darauf nicht so reagieren, dass wir die Bücher der „neuen Atheisten“ einfach in die Ecke feuern.
4. Ein gezieltes Missverständnis: Glaube als illusorisches Für-wahr-halten
Bei aller Fragwürdigkeit, in der sich der „Neue Atheismus“ präsentiert, enthalten seine Argumente alte, harte Kerne. Der älteste ist natürlich die Behauptung, dass es Gott gar nicht gibt, bzw. dass er nicht existiert. Allerdings ist diese Behauptung schwer zu belegen. Denn Gott ist – jedenfalls in den monotheistischen Religionen – eine unsichtbare, uns in seinem Geheimnis verborgene Wirklichkeit. Zu Gott gibt es darum für uns irdische Menschen nur einen Zugang und das ist der Glaube. Glaube ist diejenige menschliche Fähigkeit, mit der wir uns dessen vergewissern, worüber wir nicht verfügen können. So glauben wir z.B. an die Treue eines Menschen oder an seine Wahrhaftigkeit. Wir vertrauen der Freundschaft einer Freundin oder einer Freundes, obwohl wir gar nicht wissen können, dass diese Freundschaft auch in Zukunft Bestand hat.
In entsprechender Weise glauben wir auch an Gott. Natürlich ist da auch ein Unterschied zu dem Vertrauen, das wir einem Menschen gegenüber hegen. Dass dieser Mensch in Raum und Zeit existiert, ist selbstverständlich. Gottes Existenz aber kann nicht selbstverständlich voraus gesetzt werden. Sie erschließt sich uns vielmehr durch bestimmte Erfahrungen, die wir in unserem Leben und in der Geschichte machen. Im Falle des christlichen Glaubens sind das die Erfahrungen, die Menschen mit Jesus Christus machen.
Sie wecken in uns das Vertrauen zu Gott als unverfügbaren Grund und Sinn unseres Leben, ja der Welt. Gott lässt uns durch sie glauben, so dass wir unseren Glauben an Gott als Geschenk Gottes verstehen. Durch dieses Geschenk macht er uns seines göttlichen Lebens, seiner so ganz andersartigen „Existenz“ gewiss. „Gott und Glaube gehören zuhaufe“, gehören zusammen, hat Martin Luther in seinem „Großen Katechismus“ diese Einsicht kurz und bündig auf den Punkt gebracht.
Ein Atheist erscheint demgegenüber als ein Mensch, bei dem dieses Geschenk des Glaubens nicht angekommen ist. Er ist schlicht ein Nicht-Glaubender und baut auf diesem Nichtglauben an Gott sein ganzes Welt- und Menschenverständnis auf. Er setzt die Nicht-Existenz Gottes voraus, weil er nicht glaubt. Was dabei heraus kommt, könnten wir uns ja durchaus in Ruhe ansehen und beurteilen. Aber nun macht der agitatorische Atheismus von alters her und so auch heute einen Schritt darüber hinaus. Er will beweisen, dass er Recht hat und damit auch Anderen den Glauben an Gott austreiben. Zu diesem Zwecke nimmt er am Gottesglauben drei Operationen vor.
Die erste Operation, mit der wir uns zunächst beschäftigen wollen, sieht so aus, dass der Glaube aus dem Zusammenhang geschichtlicher, existenzieller Erfahrung gerissen und auf eine andere Ebene verlagert wird. Er wird als eine quasi-wissenschaftliche Aussage über die Entstehung der Welt und des Lebens, als „wissenschaftliche Hypothese“ verstanden (Dawkins, 72). Demgegenüber wird verkündet: Die Naturwissenschaft, insbesondere die Kosmologie, die Astrophysik und die Biologie können keinen Beweis für die Existenz Gottes, für einen übernatürlichen „Gestalter“ der Welt liefern, weil das Werden des Universums und des Leben auch ohne die „Gotteshypothese“ erklärt werden kann.
Hier gilt mit über 50% Wahrscheinlichkeit, dass Gott nicht existiert (ebd.). Auf diese Weise ist allerdings auch kein Beweis für die Nichtexistenz Gottes zu erbringen. Die Atheisten sagen darum: Dass etwas nicht existiert, kann und braucht auch gar nicht bewiesen werden. Wenn etwa jemand behauptet, eine Teekanne oder ein „Spaghettimonster“ fliege im Weltraum herum (vgl. 74-76), dann liegt bei dem, der das behauptet, die Last des Beweises und nicht bei dem, der das bestreitet. Genauso ist es mit der Behauptung der Existenz Gottes.
Wir merken ohne große Schwierigkeiten, dass diese Argumentation, die Dawkins „zentral“ für seinen Atheismus nennt (222), etwas Verschrobenes und Schiefes hat. Einen Gott, den wir mit unseren wissenschaftlichen Methoden so beweisen könnten, wie einen Sachverhalt in der Natur oder wie fliegende „Teekannen“, wäre mit Sicherheit nicht Gott, sondern ein Teil der Welt. Gott kann man nicht zum Gegenstand, zum Objekt machen, wie das Juri Gagarin versuchte, als er nach Gott im Weltraum wie nach einer Teekanne Ausschau hielt. Mehr als diese Negativ-Feststellung besagt jenes atheistische Argument nicht.
Wer an Gott glaubt, ist sogar froh, dass das so ist. Denn ein von Menschen in Naturgesetze eingefangener Gott wäre bestenfalls ein Götze, ein in die Verfügung von Menschen geratenes Zerrbild von Gott. „Einen Gott“, – so können wir im Anschluss an Dietrich Bonhoeffers sagen – „den es gibt (wie es die Menschen, die Dinge, die Sterne und Galaxien gibt) gibt es nicht“. Für den Zugang von Menschen zu Gott sind die Naturwissenschaften darum nicht zuständig. Sie können sich in der Frage, ob Gott existiert oder nicht, nur der Stimme enthalten. Sie können und sollen diese wunderbare, atemberaubend großartige Schöpfung erforschen. Der Zugang zu Gott aber gehört in eine andere Dimension unseres Wahrnehmens von Wirklichkeit: In die Dimension des Glaubens.
Nun ist unseren „neuen Atheisten“ dieses Argument natürlich bekannt. Sie weisen es jedoch ab, indem sie unter „Glauben“ ein völlig illusorisches Fürwahrhalten einer Fabelwelt verstehen. Für sie liegt der Glaube an Gott auf einer Linie mit dem Glauben an den Weihnachtsmann, an Feen und an Rumpelstilzchen. Sie leugnen, dass Glaube überhaupt etwas mit unserem Wahrnehmen von Wirklichkeit zu tun hat. Das aber ist auch abgesehen vom Glauben an Gott offenkundig falsch. Denn kein Mensch kann ohne glaubendes Grundvertrauen zu anderen Menschen leben.
Wir würden uns gar nicht auf die Straße trauen, wenn das nicht so wäre. Unsere Wirklichkeitserfahrung geht auch sonst nicht in dem auf, was sich objektiv beweisen lässt. Jeder und jede Liebende würde sich verbieten, ihre Liebe auf naturwissenschaftlich erforschbare physiologische Vorgänge reduzieren zu lassen. Jeder Künstler würde sich veralbert vorkommen, wenn man seinen ästhetischen Ausdruck unseres vielfältig geheimnisvollen Daseins auf die chemische Zusammensetzung der Farben seiner Bilder, auf die physikalische Beschaffenheit seiner Geige oder auf den Computer reduzieren würde, mit dem ein Roman geschrieben wird.
Darum gilt auch: Jede und Jeder, die mit ihrem Bewusstsein alles überschreiten können, „was es gibt“, und die darum bewusst oder unbewusst einem guten Geheimnis unserer Daseins vertrauen, tun etwas Grundmenschliches. Sie würden ins Gefängnis der Materie gesperrt werden, in dem sie im Grunde gar keine Menschen mehr wären, wenn man ihnen die Freiheit zum Glauben als Vertrauen zu einem Geheimnis ihres Daseins, das sich in geschichtlicher, existenzieller Erfahrung erschließt, verbieten würde. Der alte und der neue Atheismus sind wirklichkeitsblind, indem sie mit einem gezielten Missverständnis den Glauben an Gott vor den Richtstuhl von Richtern zerren, für die solcher Glaube auf das Für-wahr-Halten von abenteuerlichen Illusionen zusammen geschrumpft ist.
5. Fragwürdige „Gottesbeweise“
Wir werden zugeben müssen, dass die christliche Darstellung des Glaubens an Gott in Vergangenheit und Gegenwart nicht ganz schuldlos an dem atheistischen Missverständnis ist. Das hängt damit zusammen, dass der Glaube an Gott, der von den Gotteserfahrungen des biblischen Zeugnisses ausgelöst wird, auch Glaube an den Schöpfer der Welt und von uns Menschen ist. Dem Gott, der sich für unsere Glaubenserfahrung in Jesus Christus erschließt, verdankt sich die ganze Welt und alle Menschen. Da kann man es schon verstehen, dass es im Interesse des Glaubens an Gott ist, darzulegen, dass er sich als Glaube an den Schöpfer durchaus mit unserer vernünftigen Wahrnehmung der Welt verträgt.
Die christliche Theologie hat sich um solche Darlegung schon im Altertum und im Mittelalter bemüht. Damals wurde – in den Grenzen und mit den Fehlern eines vorneuzeitlichen Weltbildes – so argumentiert, dass alles Veränderliche in dieser Welt vernünftigerweise auf eine erste Ursache zurückgeführt werden kann. Diese Ursache „ nennen alle Gott“, hat Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert gesagt. Er hat also nicht behauptet: „Das ist Gott“. Er hat unter der Voraussetzung der glaubenden Gewissheit Gottes zeigen wollen, dass diese Gewissheit durchaus mit Argumenten der Vernunft unterstrichen werden kann.
Leider hat es sich eingebürgert, dieses Bemühen „Gottesbeweise“ zu nennen. Dawkins und seine atheistischen Mitstreiter verstehen die nachträglichen Unterstreichungen des Glaubens an Gott denn auch fälschlicherweise so, als solle damit der Glaube an Gott bewiesen und begründet werden. Das war jedoch nicht der Fall. Das kann auch heute nicht Fall sein, wenn die christliche Theologie unsere naturwissenschaftlichen Kenntnisse vom Werden des Universums und des menschlichen Lebens so deutet, dass sie sich mit dem Glauben an Gott, den Schöpfer, vertragen. Schief werden solche Deutungen erst, wenn die Theologie anfängt, der Naturwissenschaft mit dem Glauben Konkurrenz machen zu wollen.
So hat etwa der englische Religionsphilosoph Richard Swinburne mit dem Computer ausgerechnet, dass doch mehr als 50% Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines göttlichen Urhebers der Welt sprechen. Noch weiter gehen die sog, „Kreationisten“. Sie wollen mit naturwissenschaftlichen Argumenten nachweisen, dass alles Leben und besonders menschliches Leben nur erklärt werden kann, wenn man einen göttlichen Gestalter dieses Lebens annimmt. Sie versuchen also, den biblischen Mythos von der Erschaffung der Tiere und des Menschen in wissenschaftliche Erkenntnisse von heute zu kleiden. Sie bestreiten darum die Theorie von der Evolution des Lebens.
Ich kann diese Theorie und ihre Probleme hier nicht diskutieren. Sie ist trotz ihrer Lücken immer noch die wahrscheinlichste Hypothese von der Entstehung des Lebens. Ohne sie wäre die moderne Genetik nicht möglich geworden. Wird gegen sie im Namen des Glaubens mit sehr fragwürdigen wissenschaftlichen Argumenten zu Felde gezogen, dann leitet das jedoch Wasser auf die Mühlen des Atheismus. Hier zeige sich eben, meint Dawkins, dass der Glaube an Gott von illusorischen, veralteten Vorstellungen von der Weltentstehung nicht lassen könne und sogar auf Beweise dieser Vorstellungen aus ist. Denn die „Kreationisten“ geben sich nach seinem Urteil nicht damit zufrieden, dass die Naturwissenschaft ein „Wissensbereich“ ist, in dem es gar nicht um den Glauben geht, sondern schlagen in diesen Bereich „mit schmutzigen Methoden“ „ihre schmutzigen Pflöcke“ (98) ein.
Doch die christliche Theologie und Kirche haben längst gelernt, zwischen zeitbedingten Vorstellungen der Bibel und dem Glauben an den Schöpfer als ewigem, unverfügbaren Grund der Welt zu unterscheiden. Sie brauchen keinen Atheismus, um den Kreationismus oder den Versuch, die Wahrscheinlichkeit des Schöpfers mit dem Computer zu berechnen, zu kritisieren. Sie können nüchtern und vorurteilsfrei wahrnehmen, was die Naturwissenschaften über das Universum und das Leben herausbekommen. Sie können dann im Lichte des Glaubens an den Schöpfer danach fragen, was das alles für uns bedeutet. Sie stellen aber in Frage, dass die von uns erkennbare Natur uns, die wir noch in einer anderen Dimension der Wirklichkeit leben, vorschreibt, wie wir uns zu verstehen und zu verhalten haben.
Denn darauf (auf den sog. „naturalistischen Fehlschluss“) läuft die neuatheistische Kritik an einem missverstandenen Glaubens an Gott den Schöpfer hinaus. Sie will und muss die Gesetze der Evolution auch zu Gesetzen unseres Handelns und Verhaltens machen. Menschen unterscheiden sich (um einige Beispiele zu nennen) demnach nicht wesentlich von anderen Säugetieren. Ethik wird zu einem System der Selbsterhaltung, das nur darum den Anderen achtet, weil es einem selbst nützt. Experimente mit „Zellhaufen“ und ihre Abtötung stellen ebenso wenig ein Problem dar wie die Abtreibung und die Geringschätzung der Menschenwürde Behinderter im Sinne der Ethik von Peter Singer. Sterbehilfe mit „Narkose“ erscheint als beste Weg, das Leben zu beenden. Sam Harris bemüht sich sogar um die Rechtfertigung der Folter gegenüber Terroristen (Ende des Glaubens, 199-206) und befürwortet den Irakkrieg ausdrücklich.
Man fragt sich angesichts dessen unwillkürlich, woher dieser Atheismus den hohen Ton der Anklage gegen das menschenmörderische und gewalttätige Wesen der Religion nimmt. Es wird sogar behauptet, dass es ohne Religion keine Kriege und keine Gewalt in der Welt gebe, wobei Stalin und Hitler und Pohl Pot vom Verdacht, Atheisten zu sein, entlastet werden. Mehr als starke Zweifel sind erlaubt. Denn die Basis, auf die dieser Atheismus mit seinem rüden Tone die Zukunft der Menschheit stellt, lässt einen eher bange fragen, worauf das Loblied auf ein von den Gesetzen der Evolution bestimmtes Leben eigentlich hinaus läuft. Was hält hier, was trägt hier, worauf ist Verlass, was hat Zukunft? Darauf gibt der „neue Atheismus“ im Unterschied zum mit Recht zugrunde gegangenen „dialektischen und historischen Materialismus“, nur verschwommene Auskünfte. Es lohnt darum durchaus, beim Glauben an Gott in der Bibel noch einmal nachzuschauen, was er auf die Frage nach dem Haltenden, Tragenden, Verlässlichem und Zukunftsträchtigen in unserem Dasein antwortet.
6. Kritik der Gewalt in der Bibel
In der Perspektive der „Neuen Atheisten“ besteht die Bibel nur aus Geschichten von Mord und Todschlag, von Terror gegenüber anders Glaubenden, von Frauenunterdrückung und Kinderschändung, von Blutorgien und Massakern. Ausnahmslos alle, die sich hier im Namen des Atheismus zu Worte melden, listen biblische Geschichten auf, die von dergleichen erzählen. Sie ziehen diese Geschichten in die Geschichten des Christentums und anderer Religionen hinein aus, in denen es von mörderischen Gewalttaten nur so wimmelt. Obwohl sie den Monotheismus speziell für ein „großes unsagbares Übel“ (Dawkins, 53) halten, weil er anderen Religionen die Wahrheit ihres Gottesglaubens abspricht und sie deshalb bekämpft, bezichtigen sie alle Religionen – auch die polytheistischen Religionen – gewalttätig zu sein.
Sie unterscheiden sich damit von den sanfteren Theorien über den Zusammenhang von Religion und Gewalt, die hier in Deutschland kursieren. Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann hat z.B. die Ansicht vertreten, erst der Monotheismus, wie er im Ersten Gebot der Bibel zum Ausdruck kommt, habe die Gewalt in die Sphäre der Religion getragen. Der Polytheismus sei friedlich gewesen, weil sich die verschiedenen Götter und so auch ihre Anhängerschaft miteinander vertrugen. Erst der Glaube an den einen, ganz jenseitigen Gott habe „die Unterscheidung zwischen wahr und falsch [...], zwischen der wahren Lehre und den Irrlehren, zwischen Wissen und Unwissenheit, Glaube und Unglaube“ in die Religionsgeschichte gebracht (Die mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München/Wien 2003, 12f.). Die Folge dessen sei notwendig „Intoleranz, Gewalt und Ausgrenzung“ gegenüber den sog. „Heiden“, dann aber auch gegenüber jeder Art von „falschen“ Glaubens außerhalb und innerhalb der eigenen Religion.
Nun kann man nur tief beschämt zugeben, dass die Geschichte der monotheistischen Religionen von religiös motivierter Gewalt durchzogen ist. Das Sündenregister des Christentums ist in die dieser Hinsicht lang. Es reicht von Kaiser Konstantin, über die Kreuzzüge, die Ausrottung der Inkas, die Inquisition, die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts und den Nordirlandkonflikt bis in unsere Tage. Für den Islam gilt Entsprechendes und – das sagen die Atheisten mit Recht – für die polytheistischen Religionen auch.
Was jedoch nicht zuzugeben ist, ist die Behauptung, der Glaube an einen Gott führe mit Notwendigkeit zur Anwendung von Gewalt gegenüber anders glaubenden Menschen. Gott, wie ihn die Christenheit glaubt, ist die Liebe, wie der 1.Johannesbrief sagt (I Joh 4, 16). Er ist ein „ganzer Backofen voller Liebe“, hat Martin Luther das interpretiert. Er stellt sich im Leben und Sterben Jesu Christi darum auf die Seite aller Leidenden und Misshandelten und niemals auf die Seite der Hassenden und Menschenschlächter. Auf ihn kann sich keiner berufen, der anderen Menschen Gewalt antut.
Aber, so sagen die „neuen Atheisten“ jetzt, was ist mit den Gewaltgeschichten in der Bibel? Was ist mit dem Heiligen Krieg, mit der Ausrottung der Midianiter und anderer Volksstämme, die uns im Zusammenhang der Landnahme Israels in der Bibel geschildert werden? Was ist mit der Abschlachtung der Kinder Israels, die das „Goldene Kalb“ angebetet haben, und mit der Tötung der Baalspriester auf dem Karmel? Was ist mit den Bestimmungen des Gesetzes Israels, wonach harmlose Vergehen wie das Brechen des Sabbats mit dem Tode zu bestrafen, Ehebrecherinneren und Zauberinnen zu steinigen sind, usw.?
Die Antwort darauf ist einfach. Das alles sind Zeugnisse einer veralteten Gotteserfahrung. Sie gehen uns nichts mehr an, bzw. sie gehen uns nur als Beispiele für das an, was im Lichte der Verheißung des Gottes Israels und seiner Güte in Jesus Christus nicht sein soll. Man kann den biblischen Glauben an Gott nicht auf solche Gotteszeugnisse festlegen wollen. Sie veralten nämlich schon in der Bibel unter dem Gewicht neuer Gotteserfahrung. „Gedenkt nicht mehr an das Alte und achtet nicht auf Vorige! Denn siehe ich will Neues schaffen“, spricht Gott nach Jes 43, 18-19. Dieses Neue aber hat nichts mit Gewalt zu tun. Zukunft hat im Vergangenen vielmehr nur das, was zur guten Verheißung für Israel und die ganze Menschenwelt zu werden vermag und geworden ist: Der Gnaden- und Friedensbund Gottes mit Israel und mit der Menschenwelt.
Da die „neuen Atheisten“ nicht daran denken, sich im jüdischen und christlichen Schriftverständnis kundig zu machen, wissen sie von der Unterscheidung zwischen alt und neu schon in der Bibel nichts. Sie haben erst recht keine Ahnung vom reformatorischen Verständnis der Bibel. Das besteht nämlich ganz und gar nicht darin, jedes biblische Gotteszeugnis als gleichermaßen verbindlich für uns einzuprägen. „Kanon“, d.h. Maßstab, ist nach Martin Luther für uns in der Bibel das, „was Christum treibet“. Mit meinen Worten gesagt bedeutet das: Verbindlich ist für uns in der Bibel, was uns Gott in Israel und in der Kirche als Gott der Gnade, Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit nahe bringt, der zugleich als Schöpfer seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse. Maßstab für unser Verkündigen und unser Leben ist der Gott, der sich mit den Opfern solidarisiert, die aus religiösen und sonst welchen Motiven von Menschen zu Tode gequält werden. Maßstab für unseren Glauben ist der Gott, der dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt das Wasser abgegraben hat.
Was die „neuen Atheisten“ also an jenen Gewaltgeschichten in der Bibel kritisieren, das ist von der bibelverständigen Christenheit immer schon längst kritisiert worden. Deshalb macht der ganze Rumor, den diese Atheisten unter Berufung auf diese Geschichten inszenieren, auf uns einen abseitigen, irgendwie vorgestrigen Eindruck. Schlimmer aber ist, dass sie – gefangen von ihrem Bilde einer dummen, gewalttätigen Religion – alles daran setzen, die Revolution der Liebe, welche die Bibel ohne Zweifel in die Welt gebracht hat, und die sich doch auch wie ein roter Faden durch die Christentums- und Religionsgeschichte zieht, mit Schmutz zu bewerfen. Was wir hier über Jesus, aber auch über Ghandi und Martin Luther King zu lesen bekommen, ist einfach nur deprimierend traurig und eklig.
7. Den Atheismus mit dem Evangelium aufklären!
Unsere Zeit schreitet voran. Ich muss langsam zum Ende kommen. Das fällt nach tausenden von Druckseiten, von deren Lektüre ich hier einen Eindruck zu geben versuchte, nicht leicht. Denn fast jede fünfte Seite dieser neuatheistischen Literatur fordert einen Theologen wie mich heraus, zu langen Entgegnungen auszuholen. Die Theorie z.B., die Dawkins entwickelt, um das Entstehen von Religion in der Menschheit zu erklären, würde einen eigenen Vortrag rechtfertigen. Er meint nämlich, Religion sei eine „Fehlfunktion“ einer eigentlichen nützlichen genetischen Anlage unserer Gattung.
So wie die Motte sich in ihrer Orientierung am Mondlicht selbstmörderisch ins Kerzenlicht stürzt (241), so verführe uns die Neigung, unseren Eltern zu vertrauen und Entscheidungen „intentional“ (254), das heißt im Vorgriff auf die angenommenen Folgen einer Handlung zu treffen, zur glaubenden Annahme einer alles regulierenden „Überwelt“. Nachdem uns in diesem Buch also über hunderte von Seiten eingeprägt wurde, dass die Evolution des Lebens unser Verhalten und Selbstverständnis programmiere, wartet sie hier mit einer „Fehlfunktionen“ auf. Aber wer entscheidet darüber, was in unserer menschlichen Gattung richtige Funktion und „Fehlfunktion“ ist?
Ich habe den größten Teil meines Lebens mit Menschen zu tun gehabt, die meinten, darüber entscheiden zu können. Das Erste, was sie mit Ausübung von Gewalt bekämpften, war die Freiheit, in der Menschen von ihrer größten Gottesgabe Gebrauch machten, sich von allen von Menschen aufgezwungenen Gesetzen für ihr Leben distanzieren zu können. Der Name für diese Freiheit aber war in den Zeiten der „friedlichen Revolution“ in der DDR letztlich „Gott“. Die „neuen Atheisten“ aus Amerika und England wissen davon nichts oder wollen davon nichts wissen. Die „neuen Atheisten“ in Deutschland, die widerliche Kinderbücher schreiben, aber kann man mit diesem Nichtwissen nicht entschuldigen. Sie müssten es eigentlich besser wissen, wenn sie sich auf einen Dialog mit uns Christinnen und Christen einlassen würden. Aber das tun sie nicht. Darum ist es an uns, den Gliedern der christlichen Gemeinde, den neuen und alten Atheismus in unseren Lande mit dem Licht des Evangeliums aufzuklären.
"Das Christentum ist eine liebende, tolerante, ja zärtliche Religion", meint Alain de Botton, Atheist. Das zu lesen tut einfach gut. Mit Blick auf meinen eigenen Glauben ist "zärtlich" nicht das Adjektiv, das mir sofort in den Sinn kommt, aber ich muss zugeben: Was mit so viel Wohlwollen über "mein Christentum" gesagt wird, liest sich viel besser, als zum wer-weiß-wievielten-Male die Behauptung von der "zunehmenden Skepsis gegenüber Religion in der Gesellschaft"*.
Die „neuen Atheisten“ unserer Tage „folgern aus den Erfahrungen der Gottverlassenheit, dass überhaupt kein Gott da ist … Sie betrachten es regelrecht als einen Wahn, wenn Menschen einem Gott vertrauen, der sie so offenkundig auch im Stich lässt“. Das Gotteswort bei Jesaja hält dem entgegen: „Es ist nur ein kleiner Augenblick, … wenn ich dich spüren lasse, wie das ist, von mir verlassen zu sein. Du musst nicht an mir irre werden. Absolut verlassen habe ich dich nie“.